Mittwoch, 2. Januar 2013

Die Zweckentfremdung von Mitteln für den öffentlichen Personennahverkehr durch Stuttgart 21


Wenn man den Bahnhof Schwäbisch Hall-Hessental verlässt, traut man seinen Augen nicht. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite fällt der Blick auf eine Plakatwand, auf der die durch Stuttgart 21 verursachten Finanzierungslücken bei regionalen Schienenverkehrsprojekten angeprangert werden.

Der Staubsaugereffekt von Stuttgart 21 in Bezug auf die verfügbaren Mittel für den Ausbau des Schienenverkehrs im Land und im Bund gerät trotz der schnell ausgeprochenen Dementis von Bahnchef Grube und von Bundesverkehrsminister Ramsauer immer mehr ins Blickfeld. Das gilt einerseits für die Landesebene, wo immer mehr Kommunen und Landkreise befürchten, dass ihre Ausbauprojekte wegen Stuttgart 21 auf den St. Nimmerleinstag verschoben werden. Das gilt aber auch für ganz Deutschland. In immer mehr Bundesländern werden Verkehrsprojekte publik, die wegen der exorbitant gestiegenen Kosten für das Projekt Stuttgart 21 aufs Abstellgleis geraten könnten.


Von daher ist es wünschenswert, dass das Beispiel von Schwäbisch Hall Schule macht und die Bahnreisenden auch in anderen Städten auf das Schwarze Loch mit Namen Stuttgart 21 aufmerksam gemacht werden.
Plakatwand beim Bahnhof Schwäbisch Hall-Hessental: Hat Stuttgart 21 Auswirkungen auf die Hohenlohebahn und die S-Bahn für Künzelsau? Die Kosten für Stuttgart 21 steigen jedenfalls so schnell, dass selbst die große Bürgerbewegung gegen Stuttgart 21 nicht mehr nachkommt. Die auf dem Plakat für Stuttgart 21 angegebenen Kosten von 4,5 Milliarden Euro sind schon längst Geschichte.
Die Finanzierung von Stuttgart 21 ist ein umfangreiches Thema. Im Bestreben, dieses Projekt umsetzen zu können, hat die frühere CDU-Landesregierung ganz tief in die Trickkiste gegriffen. Im heutigen Post in diesem Blog soll es nur um die Mittel aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) gehen, die für Stuttgart 21 herangezogen werden sollen.

Im Finanzierungsvertrag zu Stuttgart 21 vom Jahr 2009 ist festgehalten, dass Stuttgart 21 unter anderem auch mit Mitteln aus dem GVFG finanziert werden soll. Die GVFG-Mittel in der Höhe von 281 Millionen Euro teilen sich auf in den Bundesanteil von 168,6 Millionen Euro und in die Komplementärfinanzierung des Landes von 112,4 Millionen Euro. Diese Mittel werden gemäß dem Finanzierungsvertrag in den Jahren von 2013 bis 2018 fällig. Der genaue Verwendungszweck dieser Mittel wird im Finanzierungsvertrag nicht genannt. 

Jetzt stellt sich die Frage, ob der Einsatz von Mitteln aus dem GVFG für Stuttgart 21 richtig und im Sinne des Gesetzes ist. Im §2 des GVFG werden die förderungsfähigen Vorhaben genannt. Wichtig ist hierbei, dass der Titel des Gesetzes nicht aus den Augen verloren wird. Das Gesetz wurde geschaffen, um die Verkehrsverhältnisse der Gemeinden zu verbessern. Dies betrifft zunächst einmal Straßenbahnen, Hoch- und Untergrundbahnen, Bahnen besonderer Bauart und nichtbundeseigene Eisenbahnen.

Ist der Umbau der Stadtbahntunnel durch das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz zu bezuschussen?
Sieht man sich diesbezüglich beim Projekt Stuttgart 21 um, gibt es nur die 200 Millionen Euro teure Verlegung der Stadtbahntunnel unter der Heilbronner Straße und bei der Haltestelle Staatsgalerie. Diese Verlegung von Stadtbahntunneln dient jedoch in keinster Weise einer Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden. Diese Verlegung ist nur deshalb erforderlich, weil die bestehenden Stadtbahntunnel den Bahntunneln von Stuttgart 21 im Wege stehen. 

Mit einem Betrag von 200 Millionen Euro werden in anderen Städten ganze Straßenbahnnetze errichtet. Und es ist nicht im Entferntesten im Sinne des GVFG, wenn sinnvolle Verbesserungen von U-Bahn- und Straßenbahnnetzen nicht gebaut werden können, weil beim Projekt Stuttgart 21 zwei Stadtbahntunnel neu gebaut werden müssen, ohne dass dies den Nutzen für die Fahrgäste erhöht.

Sind die Maßnahmen für die S-Bahn GFVG-förderungsfähig?
Nun gibt es auch noch den § 11 des GVFG. Dort werden auch Vorhaben der Eisenbahnen des Bundes als förderungsfähig dargestellt. Das betrifft die S-Bahn und den Regionalverkehr. Die Förderfähigkeit ist aber nur gegeben, wenn durch diese Maßnahmen die Verkehrsverhältnisse der Gemeinden verbessert werden.

S-Bahntunnel zwischen Hauptbahnhof und Bad Cannstatt/Nordbahnhof
Bestandteil des Projekts Stuttgart 21 ist auch der Neubau eines Tunnels für die S-Bahn zwischen dem Haltepunkt Hauptbahnhof und dem Neckar bei Bad Cannstatt bzw. zwischen dem Hauptbahnhof und dem Haltepunkt Nordbahnhof. Sollten für diese Maßnahme GVFG-Mittel eingeplant worden sein, dann wäre dies falsch. 

Die neuen Tunnel für die S-Bahn führen nicht zu einer Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden. Diese Tunnel sind einzig und allein deswegen erforderlich, damit das heutige Gleisvorfeld des Hauptbahnhofs bebaut werden kann. Für ein solches Ziel ist aber das GVFG nicht geschaffen.

Bestandteil von Stuttgart 21 ist auch ein neuer S-Bahnhaltepunkt Mittnachtstraße. Dieser neue S-Bahnhaltepunkt verlängert zusammen mit der umwegigeren Führung der S-Bahn die Fahrzeit zwischen dem Hauptbahnhof und Bad Cannstatt bzw. Nordbahnhof um jeweils zwei Minuten. Der S-Bahnhalt Mittnachtstraße führt also zu einer Verschlechterung der Attraktivität der S-Bahn. Der neue Haltepunkt benötigt zudem die Bebauung des gesamten Gleisvorfelds, um genügend Fahrgäste zu generieren. Diese Bebauung ist jedoch selbst dann, wenn Stuttgart 21 gebaut werden würde, nicht sicher. Mit großer Wahrscheinlichkeit muss auch bei Stuttgart 21 ein Teil der Gleise im heutigen Gleisvorfeld erhalten bleiben. Zudem kann niemand sagen, wann nach einer Fertigstellung von S21 das Gleisvorfeld bebaut werden könnte. Bauverzögerungen und Streitigkeiten um die Altlastensanierung würden eine Bebauung um Jahre verschieben. Dafür gibt es genügend Anschauungsbeispiele. Würde man S21 bauen, würden Teile des Gleisvorfelds vielleicht ab dem Jahr 2025 frei werden. Dann aber ist für Stuttgart schon längst der vorhergesagte Rückgang der Bevölkerungszahlen im Gange, so dass die Investoren dann kein Interesse an einem konfliktbehafteten und schwierigen Baugrund wie dem Gleisvorfeld mehr haben werden.

S-Bahn auf den Fildern
Man kann nur hoffen, dass die GVFG-Mittel bei Stuttgart 21 nicht für die S-Bahn auf den Fildern reserviert sind. Stuttgart 21 sieht eine markante Verschlechterung für die S-Bahn auf den Fildern vor. Ein eingleisiger Flughafenbahnhof, mehrere höhengleiche Gleiskreuzungen mit den Regionalzügen und Mischbetrieb mit dem Regional- und Fernverkehr werden die Pünktlichkeit des S-Bahnverkehrs sinken lassen sowie eine Reduzierung des Angebots beim S-Bahnverkehr nach sich ziehen. 

Regionalverkehr vom Flughafen nach Ulm und nach Reutlingen/Tübingen
Eine Förderung dieses Regionalverkehrs mit GVFG-Mitteln entspricht nicht dem Buchstaben und Geist des Gesetzes. Die Entfernung Flughafen-Ulm ist so weit, dass sie selbst beim besten Willen nicht zum Regionalverkehr oder entsprechend dem GVFG gar zum Nahverkehr gerechnet werden kann. Auch der Verkehr in Richtung Reutlingen/Tübingen ist kein Nahverkehr. 

Zwar sieht das GVFG im §11 eine mögliche Förderung des Regionalverkehrs vor. Das gilt aber nur, wenn der Regionalverkehr die im §2 des Gesetzes genannten Verkehrsleistungen anbietet. Das heißt, dass die zu fördernden Teile des Regionalverkehrs innerhalb einer Gemeinde oder zwischen zwei aneinandergrenzenden Gemeinden stattfinden müssen und dass diese Regionalverkehrsteile ähnlich den Verkehrsleistungen einer U-Bahn, Stadtbahn oder Straßenbahn sind.    

Regionalverkehr vom Flughafen zum Hauptbahnhof
Diesen Regionalverkehr durch den Fildertunnel könnte man bei gutem Willen noch als einen Kandidaten für eine GVFG-Förderung identifizieren. Aber nur auf den ersten Blick scheint hier ein Ausweg gegeben.

Denn Grundvoraussetzung für jegliche Förderung eines Verkehrsprojekts mit GVFG-Mitteln ist ein Nutzen-Kosten-Faktor größer als eins. Und das ist bei Stuttgart 21 nicht der Fall, nicht erst seit den jüngst bekannt gewordenen exorbitanten Kostensteigerungen. Zudem muss ein mit GVFG-Mitteln gefördertes Nahverkehrsvorhaben aus sich selbst heraus wirtschaftlich sein. Bei Stuttgart 21 kommen aber Vorhaben für den Fernverkehr und für den Regionalverkehr zusammen. Der Regionalverkehr allein könnte die exorbitant teuren Tunnelbauten nie bezahlen.

Und in Bezug auf eine Förderung des Fildertunnels mit GVFG-Mitteln gilt ganz generell: Solange es in Baden-Württemberg und in ganz Deutschland Dutzende, wenn nicht Hunderte von wichtigen Nahverkehrsvorhaben im Bereich Straßenbahn, Stadtbahn und U-Bahn gibt, die wegen fehlender Mittel nicht finanziert werden können, ist es eine Todsünde, einen Fildertunnel, der ja eigentlich nur die Folgemaßnahme eines Immobilienverwertungsprojekts ist, mit diesen Zuschussmitteln mitzufinanzieren. Zudem gibt es eine wesentlich kostengünstigere, fahrgastfreundlichere und GVFG-affine Alternative zum Fildertunnel. Das ist die Express-S-Bahn vom Flughafen über S-Vaihingen zum Kopfbahnhof sowie vom Flughafen über Wendlingen nach Plochingen.

Fazit
Das Finanzierungsmodell von Stuttgart 21, das zum Teil auf GVFG-Mittel zurückgreift, ist - höflich ausgedrückt - grenzwertig. Und abgesehen von den ganzen rechtlichen Aspekten ist es ein Skandal, dass die viel zu knappen GVFG-Mittel für ein Projekt ohne richtigen Nutzen für den Nahverkehr ausgegeben werden sollen, während viele andere sinnvolle Nahverkehrsprojekte in BW und in Deutschland vergeblich auf eine Förderung warten.

Nach dem Stopp von Stuttgart 21 werden selbstverständlich nicht alle Projekte, die in Deutschland und in BW auf der Warteliste für eine GVFG-Förderung stehen, sofort finanziert werden können. Dazu gibt es einfach zu viele dieser Projekte. Jedoch käme man mit den 281 Millionen Euro durchaus voran und wäre sich zudem sicher, dass das Geld ab jetzt nur noch für Projekte ausgegeben wird, die den öffentlichen Nahverkehr wirklich voranbringen.

P.S.
Im Rahmen der Föderalismusreform wurde das GVFG im Jahr 2006 vom Entflechtungsgesetz abgelöst. Gleichzeitig wurde die Förderung des Nahverkehrs durch den Bund bis längstens zum Jahr 2019 festgesetzt. Die weiter oben genannten Inhalte des GVFG ändern sich dadurch aber nicht.  
                            

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