Wohl keine andere bereits gebaute oder geplante Neubaustrecke in Deutschland ist so grenzwertig und mit so vielen Nachteilen behaftet wie die geplante Neubaustrecke Wendlingen-Ulm. Das wurde in den vorangegangenen drei Posts in diesem Blog bereits klar.
Eine Möglichkeit, die Nachteile der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm noch besser herauszuarbeiten, ist ein Vergleich mit anderen Neubaustrecken. Deshalb vergleichen wir heute mal die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm mit der im Jahr 1991 vollständig in Betrieb gegangenen Schnellfahrstrecke Mannheim-Stuttgart. Und diesen Vergleich gliedern wir in einzelne Themenbereiche.
Bürgerengagement und Widerstand
Das Engagement der Bürger und der Widerstand bei der Schnellfahrstrecke Mannheim-Stuttgart waren ganz anderer Natur als bei der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm sowie Stuttgart 21. Die Schnellfahrstrecke Mannheim-Stuttgart wurde als Ganzes nie grundsätzlich in Frage gestellt. Es herrschte weitgehend Einigkeit darüber, dass die Schnellfahrstrecke Mannheim-Stuttgart der Bahn nutzt, dass die Kapazität des Bahnverkehrs erhöht wird, dass der Personenverkehr attraktiver wird und dass es auch für den Güterverkehr bessere Bedingungen geben wird.
Es gab einzelne Widerstände gegen die Schnellfahrstrecke Mannheim-Stuttgart. Diese waren jedoch lokaler Natur und resultierten ausschließlich aus konkreten Betroffenheiten. So befürchteten Anrainer zusätzlichen Lärm oder Erschütterungen oder es wurde der Zerschneidungseffekt der Strecke kritisiert. Diesen Widerständen begegnete man mit einer Reihe von Maßnahmen. Zum Beispiel wurden Tunnels verlängert. Oder es wurde zum Beispiel nördlich der Gemeinde Forst im Oberrheintal ein über die Geländeoberläche hinausragender, im Grundwasser liegender Tunnel gebaut. Ohne diesen Tunnel wäre die Gemeinde Forst auf allen vier Seiten von Verkehrswegen eingeschlossen gewesen (die anderen drei Seiten werden von der A5, der B35 sowie der Bahnstrecke Karlsuhe-Heidelberg begrenzt). Teilweise entwickelten die Klagen der Anwohner seltsame Blüten. So wurde zum Beispiel zum Schutz der Anwohner der Mannheimer Stadtteile Pfingstberg und Rheinau nicht nur ein über fünf Kilometer langer Tagebautunnel gebaut. Ca. 20 Meter neben diesem Tunnel wurde im den Häusern nächstgelegenen Bereich auch noch eine Bohrpfahlwand in die Erde gesetzt, allein für den Zweck, eventuell vom Tunnel an das Erdreich abgeleitete Resterschütterungen von den Häusern auch noch abzuhalten.
Aber im Großen und Ganzen stand die Schnellfahrstrecke Mannheim-Stuttgart als solche nie in Frage. Ganz anders verhält es sich bei der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm und bei Stuttgart 21. Hier gibt es selbstverständlich dieselben oder noch mehr lokale Betroffenheiten wie bei der Schnellfahrstrecke Mannheim-Stuttgart.. Das grundlegend Neue bei der NBS Wendlingen-Ulm und bei Stuttgart 21 ist jedoch, dass die beiden Projekte von vielen Bürgern als Ganzes in Frage gestellt und abgelehnt werden. Hierbei handelt es sich um überdurchschnittlich gut informierte Bürger. Diese Bürger haben sich vorgenommen, über die beiden Projekte mehr zu erfahren als in den Hochglanzprospekten und in den Zeitungen steht.
Hierbei haben sie festgestellt, dass beide Projekte nicht das darstellen, als was sie verkauft werden. Darüber hinaus haben sie festgestellt, dass beide Projekte keine gute Zukunft, sondern das Gegenteil bringen. Daraus entsprang dann die größte Bürgerbewegung, die es je gegen ein Großprojekt in Deutschland gegeben hat.
Etappierbarkeit
Die NBS Wendlingen-Ulm und Stuttgart 21 sind nicht etappierbar. Diese Projekte müssen als Ganzes in Betrieb gehen. Es ist nicht möglich, einzelne Teile für sich genommen in Betrieb zu nehmen. Mehr noch, Stuttgart 21 ist auch noch von der NBS Wendlingen-Ulm abhängig. Ohne die vollständige Fertigstellung der NBS kann auch Stuttgart 21 nicht in Betrieb gehen. Diese beiden Projekte sind somit Alles-oder-Nichts-Projekte. Dahinter verbirgt sich ein großes Risiko. Denn die Unmöglichkeit der Inbetriebnahme einzelner Teilabschnitte beschwört die Gefahr einer großen Bauruine herauf. Das Scheitern eines kleinen Mosaiksteins bei den beiden Projekten reicht aus, um das gesamte Projekt zur Ruine werden zu lassen. Zudem können bei einem Alles-oder-Nichts-Projekt die bereits fertiggestellten Projektteile über Jahre oder sogar Jahrzehnte hinweg nicht in Betrieb genommen werden. Diese Teile gammeln dann als halbfertige Baustelle jahrelang vor sich hin.
Die Schnellfahrstrecke Mannheim-Stuttgart war etappierbar. So ging der Abschnitt von Mannheim bis Graben-Neudorf bereits im Jahr 1989 in Betrieb. Er wurde von den ICE von Mannheim nach Karlsruhe genutzt. Weitere Etappierungen wären bei Bedarf möglich gewesen. Die Schnellfahrstrecke ist - außer an den beiden Endpunkten - noch an drei Stellen mit dem Bestandsnetz der Bahn verknüpft. So wäre es möglich gewesen, auch den Abschnitt Stuttgart-Vaihingen/Enz alleine mit voller verkehrlicher Wirkung in Betrieb zu nehmen. Das gleiche gilt für den Abschnitt Vaihingen/Enz-Bruchsal. Und eine Abhängigkeit der Schnellfahrstrecke zum Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs bestand nicht.
Schienengüterverkehr
Die Schnellfahrstrecke Mannheim-Stuttgart ist mit ihren Trassenparametern vollumfänglich für den Schienengüterverkehr geeignet. Es gibt zudem in Vaihingen/Enz und im Kraichgau Ausweichgleise, auf denen ein Güterzug einen vorbeifahrenden ICE abwarten kann. Und es gibt mehrere Verknüpfungspunkte mit der alten Strecke, so dass die Güterzüge bei Bedarf auch von der Schnellfahrstrecke abfahren können - etwa dann, wenn ihnen ein ICE im Nacken sitzt.
Trotzdem sieht man auf der Schnellfahrstrecke Mannheim-Stuttgart zumindest tagsüber kaum einen Güterzug. Die Ausweichgleise sind meist leer. Das liegt zum einen daran, dass die Schnellfahrstrecke tagsüber mit Personenzügen relativ gut ausgelastet ist - jedenfall besser als die NBS Wendlingen-Ulm je sein würde. Dann gibt es eine Einschränkung wegen der Tunnel. Denn in den zweigleisigen Tunneln sollen sich ein mit 250 km/h fahrender ICE und ein Güterzug nicht begegnen. Ein weiterer Grund für das Fehlen der Güterzüge auf der Schnellfahrstrecke tagsüber liegt aber woanders. Denn auch die alte Strecke zwischen Mannheim und Stuttgart über Heidelberg, Bruchsal, Bretten und Mühlacker ist vollumfänglich für den Güterverkehr geeignet und hat Trassen frei. Somit bevorzugen die Güterzüge heute diese Bestandstrasse. Als weiterer untergeordneter Grund für das Fehlen der Güterzüge auf der Schnellfahrstrecke könnte man noch die Geislinger Steige anführen, obwohl die ja weit weg ist. Denn das Güterzug-Hindernis Geislinger Steige wirkt sich bezüglich der Zahl der Güterzüge bis nach Mannheim aus.
Halten wir also fest: im Bahnkorridor Mannheim - Stuttgart ist die Schnellfahrstrecke zumindest nachts für alle Güterzüge offen. Die alte Strecke (die Bahnfachleute sagen dazu HAS = Hauptabfuhrstrecke) ist vollumfänglich rund um die Uhr für den Güterverkehr geeignet. Beste Bedingungen also für den Güterverkehr, die auch eine zukünftige Steigerung der Zugzahlen auffangen können. Genau der Gegenteil ist bei der aktuellen Planung für den Bahnkorridor Stuttgart-Ulm der Fall. Weder die NBS Wendlingen-Ulm noch die alte Strecke über das Filstal sind für den Güterverkehr geeinget. Die NBS ist überhaupt nicht dafür geeignet, die Filstalstrecke nur mit Einschränkungen wegen des Sonderfalls Geislinger Steige.
Regionalzugverkehr
Auf der Schnellfahrstrecke Mannheim-Stuttgart findet Regionalzugverkehr nur zu einem ganz kleinen Prozentsatz statt. Es gibt zweistündlich verkehrende Interregio-Express-Züge von Stuttgart nach Karlsruhe, die zwischen Stuttgart und Vaihingen/Enz die Schnellfahrstrecke benutzen. Diese Züge musste das Land allerdings nur deshalb bestellen, weil die Bahn vorher den bisher eigenwirtschaftlich betriebenen Interregio-Verkehr eingestellt und die Zuggattung Interregio abgeschafft hat. Der Anteil der Regionalzugkilometer auf der Schnellfahrstrecke Mannheim-Stuttgart an den gesamten Zugkilometern auf dieser Strecke beträgt weniger als 4 Prozent. Eine nennenswerte Subvention der Schnellfahrstrecke durch das Land über den Umweg der Entrichtung teurer Trassengebühren an die Bahn findet somit fast nicht statt.
Ganz anders verhält es sich bei der geplanten Neubaustrecke Wendlingen-Ulm. Dort werden ca. ein Drittel aller Zugkilometer von Regionalzügen gefahren werden, die vom Land bestellt werden müssen. Das Land wird somit während der gesamten Betriebsdauer der Strecke exorbitant hohe Trassengebühren an die Bahn abführen müssen. Diese Gelder werden dem Land fehlen, um in der ganzen Fläche attraktiven Regionalzugverkehr anbieten zu können. Und mit diesen Geldern ermöglicht das Land erst die Neubaustrecke. Denn ohne die vom Land zu bestellenden Regionalzüge könnte die Strecke weder gebaut noch später instandgehalten werden.
Schienenfernverkehr
Ein Diagramm der Fahrgastzahlen auf dem deutschen Fernverkehrsnetz, wie es auch beim Sach- und Faktencheck zu S21 unter Heiner Geißler präsentiert wurde, zeigt deutlich den markanten Bruch bei den Fahrgastzahlen im Verlauf der Achse Mannheim - München in Stuttgart. Von Stuttgart nach Norden und Westen (Schnellfahrstrecke nach Mannheim) fahren wesentlich mehr Fahrgäste als nach Süden und Osten (NBS Wendlingen-Ulm). Betrachtet man die Abfahrtstafel des Stuttgarter Hauptbahnhofs, dann stellt man fest, dass heute 71 Fernzüge pro Tag und Richtung über die Schnellfahrstrecke in Richtung Norden und Westen fahren, aber nur 33 Fernzüge in Richtung Ulm. (werktags, ohne Züge, die nur an einem oder zwei Wochentagen oder nur saisonal verkehren).
Somit fahren über die Schnellfahrstrecke von Stuttgart in Richtung Vaihingen/Enz und weiter nach Mannheim/Karlsruhe/Heidelberg mehr als doppelt so viele Fernzüge wie über die Strecke nach Ulm. (Die Schnellfahrstrecke Mannheim-Stuttgart hat auf einem Teil sogar noch weitere Fernzüge der Relation Mannheim-Karlsruhe). Und dieses Verhältnis wird sich mit der NBS Wendlingen-Ulm auch nicht wesentlich ändern. Denn die geographische Lage Stuttgarts sowie die Bevölkerungsverteilung in Deutschland und in Europa lassen sie nun mal nicht ändern.
Während somit die Schnellfahrstrecke Mannheim-Stuttgart mit dem bestehenden Fernverkehr einigermaßen ausgelastet ist und sich rechnet, ist dies bei der NBS Wendlingen-Ulm nicht in Ansätzen der Fall.
Fazit
Die Werte der NBS Wendlingen-Ulm sind schlecht. Das zeigt auch ein Vergleich mit anderen Schnellfahrstrecken. Wäre die NBS Wendlingen-Ulm ein Patient, wäre der zuständige Arzt nicht zu beneiden. Denn er müsste den Angehörigen dann mitteilen, dass der Patient bei diesen festgestellten Werten nur noch einige Wochen oder allenfalls wenige Monate zu leben hat......
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