Montag, 25. April 2011

Schade: SPD-Führung war nicht bei Sach- und Faktencheck dabei

Teilnehmer des Sach- und Faktenchecks zu Stuttgart 21 unter Leitung des Schlichters Heiner Geisler waren nicht nur einfache BürgerInnen und Experten, sondern auch Vertreter von Parteien. Auf Seiten der damaligen Landesregierung und der Befürworterseite von Stuttgart 21 waren Vertreter der CDU und der FDP anwesend. Auf Seiten der Befürworter eines etappierbaren Ausbaus des Bahnknotens Stuttgart auf der Basis des bestehenden Kopfbahnhofs waren Vertreter der Grünen sowie der SÖS (Stuttgart ökologisch sozial) dabei. Dann war bei den Stuttgart 21 - Gegnern noch Peter Conradi von der SPD dabei, dem jedoch die Parteiführung kaum Beachtung schenkt.



Die SPD-Führung war beim Sach- und Faktencheck nicht dabei. Ich habe das damals als korrekt empfunden. Denn die SPD konnte zur Sache nichts beitragen. Die Partei war und ist zum Thema Stuttgart 21 tief gespalten. Die Führung der Partei ist für Stuttgart 21, die Mehrheit der Parteibasis ist dagegen. Zudem hat sich die SPD auf Betreiben ihrer Führung kritiklos an das CDU-Projekt Stuttgart 21 angeklammert, anstatt ihrer Aufgabe als damals größte Oppositionspartei nachzukommen und ein Alternativkonzept zu entwickeln.

Inzwischen muss ich meine Meinung zur Teilnahme der SPD-Führung am Sach- und Faktencheck revidieren. Jetzt zeichnet sich ab, dass die Grünen zusammen mit der SPD regieren werden. Und in diesem Zusammenhang wäre es besser gewesen, die SPD-Führung hätte doch am Sach- und Faktencheck zu Stuttgart 21 teilgenommen.

Denn es hat sich in den vergangenen Wochen während der Koalitionsverhandlungen zwischen den Grünen und der SPD gezeigt, dass die SPD-Führung nur ungenügende Kenntnisse zu Stuttgart 21 hat. Aus Sicht der Grünen ist so etwas verheerend. Da hat man sich selbst seit über 15 Jahren intensiv mit dem Projekt Stuttgart 21 beschäftigt und kennt alle Abgründe und Fallstricke dieses Projekts. Und dann trifft man auf eine SPD, die stur die Parolen aus den Hochglanzprospekten zu Stuttgart 21 wiederholt, als hätte es keinen Sach- und Faktencheck gegeben.

Beispiel 1

Der Landesgeschäftsführer der SPD, Marten Jennerjahn, diskutierte vor wenigen Tagen mit Gegnern von Stuttgart 21 vor der Landesgeschäftsstelle der SPD am Stuttgarter Wilhelmsplatz. Als eines der Hauptargumente für Stuttgart 21 hob er auf die Magistrale Paris-Bratislava ab.

Es ist kaum zu glauben. Da wird beim Sach- und Faktencheck selbst von der Bahn klar dargelegt, dass die europäische Magistrale Paris-Bratislava zwar existiert, dass sie aber für Stuttgart 21 keine Rolle spielt. Und trotzdem reitet die SPD immer noch auf diesem in den Hochglanzprospekten der Vergangenheit propagierten Slogan herum.

Die Festlegung von Magistralen in Europa hat zum Ziel, dass entlang wichtiger Bahnkorridore einheitliche Standards bestehen. Dazu gehören zum Beispiel die Sicherungstechnik oder die Spurweite. Dies soll allen Bahnen und Anbietern von Schienenverkehrsleistungen in Europa den gleichen und diskriminierungsfreien Zugang zu den Magistralen ermöglichen. Dazu gehört auch, dass im Verlauf der Magistralen alle in den EU-Richtlinien enthaltenen Bestimmungen eingehalten werden.

Eine Festlegung der EU-Bestimmungen zur Eisenbahn ist, dass es in Bahnhöfen im Verlauf der Magistralen keine Längsneigung geben darf. Nun weisen die Gleise und Bahnsteige beim Hauptbahnhof von Stuttgart 21 bekanntlich eine Längsneigung von 15 Promille auf. Das ist bereits ein Vielfaches dessen, was an Hand der nationalen Vorschriften erlaubt ist. Im Rahmen der EU-Magistralen ist diese Längsneigung nicht zulässig. Somit verhält es sich genau andersherum als Herr Jennerjahn glaubt: Stuttgart 21 verunmöglicht die europäische Magistrale Paris-Bratislava, der Kopfbahnhof hingegen steht im Einklang mit der Magistrale.

Beispiel 2

Der Fraktionschef der SPD im Landtag von BW, Claus Schmiedel, erklärte vor wenigen Tagen, dass die Neubaustrecke Wendlingen - Ulm nur mit Stuttgart 21 machbar wäre. Denn es wäre ja nicht möglich, dass eine Schnellfahrstrecke in einen Kopfbahnhof mündet.

Da bleibt einem fast die Spucke weg. Wurde doch während der Sach- und Faktenchecks klar herausgearbeitet, dass über 80 Prozent aller Fahrgäste im Stuttgarter Hauptbahnhof nicht durchfahren, sondern dort umsteigen bzw. dort ihr Ziel haben (also aussteigen). Und für diese überragende Mehrheit der Fahrgäste ist der Kopfbahhnhof wesentlich besser als der Durchgangsbahnhof. 

Dann kommt noch hinzu, dass Stuttgart 21 ja nicht nur eine Durchbindung einer Schnellbahn Ulm - Stuttgart - Mannheim beinhaltet, sondern dass ausnahmslos alle Züge in den Engpass des neuen Tiefbahnhofs und der Zulaufstrecken gepresst werden. Dies führt zu einer Verlängerung von Fahrzeiten zum Beispiel im Verlauf der Gäubahn oder bei der Remsbahn und der Murrbahn. Einer kleinen Verbesserung bei den Fahrzeiten von wenigen Minuten für die Verbindung Ulm-Stuttgart-Mannheim stehen also Verschlechterungen bei den Fahrzeiten für andere Strecken gegenüber. Dazu kommt noch die mangelnde Kapazität des ganzen Systems Stuttgart 21, die zu immer wiederkehrenden Verspätungen und zu der Unmöglichkeit, während der nächsten 100 Jahren Verkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern, führen wird.

Etwas ganz anderes wäre es, wenn man analog der Züricher Durchmesserlinie oder der Lösung in Florenz nur die Schnellverbindung Ulm-Stuttgart-Mannheim in einen neuen Durchgangsbahnhof verlegt hätte und ansonsten den bestehenden Kopfbahnhof für das flächendeckende Bahnnetz in BW erhalten hätte. Aber das war ja nicht möglich, denn Stuttgart 21 ist in erster Linie ein Immobilienprojekt. Da gab es keine Alternative zur gänzlichen Tieferlegung des Bahnverkehrs.

Tja, was können wir mit der SPD jetzt machen? Das Kind ist bereits in den Brunnen gefallen. Wäre es vielleicht möglich, eine Informationspartnerschaft auf die Beine zu stellen? Jeder Landtagsabgeordnete der SPD bekommt mehrere Betreuungspersonen aus der Bürgerbewegung gegen Stuttgart 21 zugewiesen. Diese Betreuungspersonen versorgen den Abgeordneten mit Informationen, Daten und Fakten zu Stuttgart 21 und stehen für Diskussionen zur Verfügung. 

Aber möglicherweise habe ich bei diesem Vorschlag ein Prinzip der Politik in Deutschland nicht genügend beachtet: Daten und Fakten spielen oft keine Rolle. Vielmehr geht es oft um Recht haben, um die Ausübung von Macht und die Vertretung bestimmter Interessen.                    

   

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