Mittwoch, 30. November 2016

Landesverkehrsminister Hermann muss in Sachen Stuttgart 21 jetzt Schaden vom Land abwenden

Die Bahn will, um eine Verjährung von Ansprüchen zu verhindern, noch im Jahr 2016 Klage gegen die Vertragspartner beim Projekt Stuttgart 21 einreichen. Mit der Klage soll erreicht werden, dass sich das Land Baden-Württemberg und die anderen Vertragspartner an weiteren Mehrkosten des Projekts finanziell beteiligen.

Das Land Baden-Württemberg lehnt eine finanzielle Beteiligung an den Mehrkosten von Stuttgart 21 ab, die über die im Finanzierungsvertrag zu Stuttgart 21 genannten Summen hinausgehen. Am 29.11.2016 hat die Landesregierung beschlossen, dass sie einer Verlängerung der Verjährung von finanziellen Ansprüchen der Bahn an die Projektpartner nicht zustimmt.

Landesverkehrsminister Hermann gibt als Begründung für die ablehnende Haltung des Landes an, dass das Land sich freiwillig an Stuttgart 21 beteilige und dass eine Kofinanzierung von Stuttgart 21 seitens des Landes über die im Finanzierungsvertrag vereinbarten konkreten Beträge hinaus somit nicht in Frage komme. Das Ansinnen der Bahn wäre vielmehr ein ganz schlechtes Beispiel für alle Projekte in Deutschland, an denen sich das jeweilige Bundesland freiwillig finanziell beteiligt.

Die Bahn führt dagegen an, dass das Projekt Stuttgart 21 in seiner Konstruktion und in seiner Ausführung ein einmaliges Projekt ist, das nicht mit anderen Projekten zu vergleichen ist.

Im heutigen Post in diesem Blog geht es darum zu zeigen, warum sich Landesverkehrsminister Hermann mit seiner Argumentation in Sachen Finanzierung der Mehrkosten von Stuttgart 21 auf ganz dünnes Eis begibt und möglicherweise dem Land sogar Schade zufügt. Es gilt weiter zu zeigen, was Verkehrsminister Hermann und die Landespolitik insgesamt jetzt in Sachen Stuttgart 21 dringend und zwingend tun müssen.


Stuttgart 21 ist ein einmaliges Projekt und ein Außenseiterprojekt
Stuttgart 21 ist unter den Bahnprojekten in Europa einmalig. Das ist in diesem Blog immer wieder zur Sprache gekommen. Stuttgart 21 ist das einzige große Verkehrsprojekt in Europa, der nicht im Bau- und Finanzierungsplan des eigentlich dafür zuständigen Baulastträgers (in diesem Fall: der Bund) enthalten ist. Stuttgart 21 wird deshalb als einziges unter den großen Verkehrsprojekten in Europa mittels eines Vertrags finanziert, den verschiedene Gebietskörperschaften, Institutionen und die Bahn geschlossen haben.

Nicht weniger schwer wiegt, dass Stuttgart 21 als einziges unter den großen Verkehrsprojekten in Europa kein eigentliches Ausbauprojekt ist. Alle großen Bahnprojekte in Europa wurden mit dem Hauptziel in Angriff genommen, die Kapazität des Bahnsystems massiv zu steigern, sei es durch die Anlage einer zusätzlichen Doppelspur, sei es durch eine Erweiterung der Bahnsteigkapazitäten, sei es durch eine Beseitigung von Engstellen wie zum Beispiel höhengleiche Gleiskreuzungen, eingleisige Strecken und Mischverkehre.

Stuttgart 21 macht all dies nicht. Es gibt keine neue Doppelspur für den Bahnknoten Stuttgart. Denn die Zufahrt Zuffenhausen, die im Rahmen einer neuen Doppelspur dringend zwei zusätzliche Gleise benötigt, wird nicht ausgebaut. Es bleibt bei den zwei vorhandenen Gleisen. Es gibt auch keine Erweiterung der Bahnsteigkapazitäten. 16 Bahnsteige im Bestand werden durch nur 8 Bahnsteige im Stuttgart 21-Tiefbahnhof ersetzt. Auch gibt es keine Beseitigung von  Engstellen. Denn einem Wegfall von Engstellen im Gleisvorfeld des Hauptbahnhofs stehen bei Stuttgart 21 zahlreiche neue Engstellen in Form von höhengleichen Gleiskreuzungen und eingleisigen Streckenabschnitten an der Peripherie von Stuttgart 21 bei der Anbindung an das Bestandsnetz gegenüber.

Die Argumentationslinie von Verkehrsminister Hermann ist falsch und gefährlich
Indem Verkehrsminister Hermann argumentiert, dass das Land sich freiwillig an Stuttgart 21 beteilige und dass das Ansinnen der Bahn nach der Übernahme weiterer Kosten ein schlechtes Vorbild für andere Projekte mit freiwilliger Kostenbeteiligung der Länder sei, begibt er sich in gefährliches Fahrwasser.

Denn einerseits ist wegen des Außenseiterstatus von Stuttgart 21 die Kostenbeteiligung des Landes keineswegs freiwillig. Vielmehr war es die frühere CDU-Landesregierung, die die Bahn massiv gedrängt hat, Stuttgart 21 umzusetzen. Die Bahn selbst hätte Stuttgart 21 nicht gebaut. Es handelt sich hier eben nicht um ein Projekt, das der Bund gemäß seinem Haushaltsplan finanziert und an dem sich das Land beteiligt, um das Projekt schneller zu bauen oder um zusätzliche Gewerke wie z.B. zusätzliche Lärmschutzwände zu realisieren.

Der Vergleich von Stuttgart 21 mit anderen Bahnprojekten führt somit ins Leere und verletzt auch einen wichtigen Grundsatz, nämlich die Feststellung, dass Stuttgart 21 ein einmaliges Projekt und Außenseiterprojekt ist, das eben gerade nicht mit anderen Bahnprojekten zu vergleichen ist. Wer Stuttgart 21 mit anderen Bahnprojekten vergleicht, relativiert die Katastrophe Stuttgart 21. Die Chancen, dass das Land BW mit dieser Nummer einer freiwilligen Beteiligung an Stuttgart 21 vor Gericht durchkommt, dürften somit nicht gerade gut stehen.

Hermann lenkt mit seinen Äußerungen auch von einer ganz anderen Sache ab, die viel wichtiger und für das Land auch in finanzieller Hinsicht viel bedeutender ist. Das ist die Sprechklausel, wie sie im §8 (4) der Finanzierungsvereinbarung zu Stuttgart 21 zum Ausdruck kommt.                

Die Sprechklausel in §8 (4) der Finanzierungsvereinbarung
Es lohnt sich, die vielzitierte und inzwischen zu einer bundesweiten Berühmtheit gewordene Sprechklausel des Finanzierungsvertrags zu Stuttgart 21 Wort für Wort zu lesen und dabei auch zu beachten, welche Worte dort nicht vorhanden sind.

In §8 (4) der Finanzierungsvereinbarung zu Stuttgart 21 wird sinngemäß festgestellt, dass die Bahn und das Land Baden-Württemberg im Falle von weiteren Kostensteigerungen, die über die im Finanzierungsvertrag konkret geregelten Kostensteigerungen hinausgehen, Gespräche aufnehmen.

Es geht bei der Sprechklausel also in allererster Linie um die Aufnahme von Gesprächen als solchen. Es geht nicht in erster Linie oder ausschließlich darum, Gespräche zur weiteren Finanzierung von Stuttgart 21 aufzunehmen. Wäre die weitere Finanzierung von Kostensteigerungen bei Stuttgart 21 das (Haupt)thema solcher Gespräche, würde dies in §8 (4) so genannt werden. Das ist aber nicht der Fall.

Die Sprechklausel des §8 (4) ist also so zu verstehen, dass das Projekt Stuttgart 21 als Ganzes hier zur Sprache kommen muss. Das kann im Extremfall den vollständigen Abbruch des Projekts bedeuten (Allerdings vertreten wir hier in diesem Blog die Auffassung, dass es dafür inzwischen zu spät ist; im Jahr 2010, als dieser Blog gestartet ist, wäre es dafür noch nicht zu spät gewesen). Lässt man den Extremfall mal außen vor, kann der Inhalt der Gespräche gemäß §8 (4) auch sein, Stuttgart 21 zu modifizieren und an neuere Entwicklungen und Erkenntnisse anzupassen. Das gilt in erster Linie in Bezug auf die erst in den letzten ca. 10 Jahren gereifte Erkenntnis, dass die Leistungsfähigkeit des Bahnknotens Stuttgart massiv gesteigert werden muss. Eine Steigerung der Leistungsfähigkeit des Bahnknotens Stuttgart, verbunden mit einer Kostenreduzierung von Stuttgart 21 und eine generelle Anpassung des Projekts Stuttgart 21 an die inzwischen eingetretenen Entwicklungen kann und muss sogar der Hauptinhalt der Gespräche gemäß §8 (4) sein. Die darauf folgenden Finanzierungsfragen sind dem nachgeordnet.

Im weiteren beschränkt § 8 (4) den Teilnehmerkreis solcher Gespräche auf das Land und auf die Bahn. Die anderen Vertragspartner von Stuttgart 21, somit die Landeshauptstadt Stuttgart, der Verband Region Stuttgart und der Stuttgarter Flughafen, nehmen an den Gesprächen gemäß § 8 (4) nicht teil. Das ist richtig und konsequent. Denn die frühere CDU-Landesregierung, die Stuttgart 21 ja unbedingt gewollt hat und ohne die Stuttgart 21 längst auf dem Stapel der gescheiterten Projekte abgelegt wäre, hat ja die anderen Vertragspartner für diese Sache instrumentalisiert. Somit ist es jetzt auch der Landesregierung alleine überlassen, zusammen mit der Bahn den Karren wieder aus dem Dreck zu ziehen.

Das Land Baden-Württemberg muss zu den Gesprächen gemäß §4 (8) des Finanzierungsvertrags zu Stuttgart 21 einladen
Es gibt also zwei Gesprächspartner bei den Gesprächen gemäß §4 (8) des Finanzierungsvertrags zu Stuttgart 21. Diese sind das Land Baden-Württemberg und die Bahn. Bisher finden solche Gespräche nicht statt. Es ist zumindest offiziell auch nicht bekannt, dass solche Gespräche geplant wären. Die in großem Abstand stattfindenden Gespräche im Lenkungskreis können mit dem §4 (8) nicht gemeint sein. Mit dem bisher augenscheinlichen Ignorieren des §4 (8) des Finanzierungsvertrags zu Stuttgart 21 begeben sich aber sowohl die Bahn als auch das Land Baden-Württemberg auf problematisches Terrain. Der Finanzierungsvertrag wird mit dem Verzicht auf Gespräche nach §4 (8) nicht erfüllt. Das kann später mal Nachteile für beide Partner haben. 

Es gilt also festzuhalten, dass beide Partner gut beraten wären, jetzt offizielle Gespräche gemäß §4 (8) aufzunehmen. Im Weiteren stellt sich die Frage, wer zu diesen Gesprächen einlädt, von wem also die Initiative für diese Gespräche ausgehen muss. Soll es die Bahn tun oder soll sich das Land Baden-Württemberg diesbezüglich den Hut aufsetzen?

Die Antwort ist überraschend einfach und klar: Das Land Baden-Württemberg muss zu diesen Gesprächen einladen. Das ist gleich mehrfach begründet. Zum einen war es die frühere CDU-Landesregierung, die das Projekt Stuttgart 21 erfunden und vorangetrieben hat. Ohne die frühere CDU-Landesregierung hätte es das Projekt Stuttgart 21 nicht gegeben. Zum anderen ist es die Politik, somit also das Land Baden-Württemberg, die gestaltend und demokratisch legitimiert tätig ist. Die Bahn muss die Vorgaben der Politik lediglich umsetzen. Die Bahn ist jedoch nicht politisch gestaltend tätig.

Was muss der Inhalt der kommenden Gespräche gemäß §4 (8) des Finanzierungsvertrags zu Stuttgart 21 sein?
Die Aufgabe von Gesprächen gemäß §4 (8) des Finanzierungsvertrags zu Stuttgart 21 klingt auf den ersten Blick schwierig. Aufgabe dieser Gespräche muss sein, das Projekt Stuttgart 21 an die in den vergangenen Jahren eingetretenen Veränderungen und neuen Erkenntnisse anzupassen und gleichzeitig das Projekt volumen- und kostenmäßig zu reduzieren. Dem nachgeordnet muss es eine neue Finanzierungsvereinbarung zu Stuttgart 21 gehen, bei der die Kosten des modifizierten und neuen Stuttgart 21 verbindlich aufgeteilt werden.

Die Änderung und Modernisierung des Projekts Stuttgart 21 ist gleichbedeutend mit der Kombilösung für den Bahnknoten Stuttgart
In den Gesprächen gemäß §4 (8) des Finanzierungsvertrags zu Stuttgart 21 braucht das Rad nicht neu erfunden zu werden. Denn es ist seit langem klar, in welche Richtung Stuttgart 21 weiterentwickelt werden muss, um einerseits den heutigen Anforderungen zu genügen und um andererseits die Kosten zu reduzieren.

Stuttgart 21 muss durch die Kombilösung für den Bahnknoten Stuttgart ersetzt werden. Das ist zunächst mal wegen der Leistungsfähigkeit des Bahnknotens Stuttgart begründet. Der Bahnknoten Stuttgart braucht zur Leistungssteigerung dringend eine neue, zusätzliche Doppelspur von der Verzweigung Zuffenhausen über den Hauptbahnhof bis zur Verzweigung Plochingen. Stuttgart 21 bringt diese neue Doppelspur nicht. Denn die Zufahrt Zuffenhausen zum Hauptbahnhof erhält bei Stuttgart 21 keine zwei zusätzlichen Gleise. Es werden lediglich die beiden vorhandenen Gleise mit großem Aufwand in den Tunnel verlegt. Die Kombilösung, die aus dem Feuerbacher Tunnel, einem sechsgleisigen Tiefbahnhof, dem Fildertunnel, einer Neubaustrecke vom Flughafen bis Wendlingen, zwei neuen Gleisen zwischen Feuerbach und der Verzweigung Zuffenhausen, einem 10gleisigen Kopfbahnhof und jeweils zweigleisigen Zuläufen zum Kopfbahnhof von Zuffenhausen, Bad Cannstatt und Vaihingen besteht, bringt für den Bahnknoten Stuttgart die dringend erforderliche markante Leistungssteigerung in Form einer neuen Doppelspur.

Dann geht es um die Kosten. Die Kombilösung macht viele bisher geplante Stuttgart 21-Bauwerke überflüssig und reduziert damit die Kosten. Dazu gehören die Rohrer Kurve, der Umbau der Strecke Rohr-Flughafen, der Flughafenbahnhof der Gäubahn, die Kurve der Gäubahn zwischen Flughafen und dem Fildertunnel, der unterirdische Flughafenbahnhof der NBS mit seinen Tunnelausschleifungen (wird ersetzt durch einen oberirdischen Bahnhof direkt an der A 8), der Untertürkheimer Tunnel und teilweise der Cannstatter Tunnel. Andererseits kann Stuttgart 21 relativ einfach zur Kombilösung migriert werden. Es entstehen kaum Bauruinen. In einigen Bereichen (z.B. Ersatz des 8gleisigen Tiefbahnhofs durch einen 6gleisigen Tiefbahnhof mit wesentlich breiteren Bahnsteigen) ist eine Umplanung erforderlich, die jedoch kaum zeitliche Auswirkungen auf die Projektfertigstellung haben dürfte.

Fazit
Die Gespräche zwischen Bahn und Land gemäß §4 (8) des Finanzierungsvertrags zu Stuttgart 21 sind ein integraler Vertragsbestandteil, der von den Projektpartnern erfüllt werden muss. Wer sich diesen Gesprächen jetzt verweigert, hat möglicherweise später vor Gericht schlechte Karten. Diese Gespräche beschränken sich jedoch nicht auf die finanziellen Aspekte des Projekts. Vielmehr bieten diese Gespräche die einmalige Chance, Stuttgart 21 an die aktuellen Entwicklungen und Erkenntnisse anzupassen. Das heißt konkret, dass Stuttgart 21 zur Kombilösung weiterentwickelt werden muss. Die Initivative für die Gespräche gemäß §4 (8) muss ganz klar vom Land BW ausgehen. Eine Intitiative des Landes für Gespräche gemäß §4 (8) ist jetzt zwingend erforderlich, um Schaden vom Land abzuwenden.        
        

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