Samstag, 30. April 2016

Können die für den Bahnknoten Stuttgart zusätzlich erforderlichen Gleise kostenneutral finanziert werden?

Die Diskussion um eine teilweise Neukonfigurierung des Projekts Stuttgart 21 mit mehr Zulaufgleisen und mehr Bahnsteiggleisen nimmt Fahrt auf. Vor wenigen Tagen hat SSB-Vorstand Arnold - ein glühender Befürworter von Stuttgart 21 - mehr Gleise für den Bahnknoten Stuttgart gefordert. Auch in diesem Blog "Der Stuttgart 21-Irrtum" sind die letzten drei Artikel mehr oder weniger diesem Thema gewidmet, insbesondere den Unterthemen Kombi-Hauptbahnhof und Führung der Gäubahn über die Panoramastrecke zum Hauptbahnhof.

Wenn man ein wenig in den Foren und Diskussionsseiten zu Stuttgart 21 liest, nimmt man eine große Skepsis in Bezug auf diese neuesten Vorschläge wahr. Es wird argumentiert, dass die Forderung nach zusätzlichen Gleisen nur der Türöffner für weitere massive Kostensteigerungen und für weitere Zuzahlungen von Land und Stadt für das Projekt Stuttgart 21 spielen soll. Hierbei wird jedoch nicht berücksichtigt, dass diese neuesten Vorschläge auch eine Jahrhundertchance sein können, sich von den besonders problematischen Teilen von Stuttgart 21 zu verabschieden und statt dessen neue, zukunftsorientierte, leistungssteigernde Teile des Ausbaus des Bahnknotens Stuttgart anzugehen.

Nun können wir hier in diesem Blog die Kosten, die die neuen Vorschläge verursachen, nicht auf Euro und Cent berechnen. Es soll hier jedoch die These vertreten werden, dass die neuen Vorschläge nicht zwangsläufig mit einer Kostenerhöhung bei Stuttgart 21 verbunden sind. Denn dem zusätzlichen Aufwand für die neuen Vorschläge stehen hohe Einsparungen gegenüber, die durch den Verzicht auf die besonders problematischen und nicht leistungssteigernden Teile von Stuttgart 21 entstehen. Das wollen wir im Folgenden ein wenig näher betrachten.


Neue Kosten und massive Einsparungen bei der Gäubahn 
Einer der wichtigsten neuen Vorschläge zur Leistungssteigerung des Bahnknotens Stuttgart ist, die Panoramastrecke der Gäubahn als radiale Zulaufstrecke zum Stuttgarter Hauptbahnhof zu erhalten. Wir haben in den letzten Artikeln in diesem Blog gesehen, dass dies nur dann darstellbar ist, wenn alle Züge der Gäubahn an Stelle über den Flughafen zukünftig weiterhin über die Panoramastrecke zum Hauptbahnhof fahren.

Es entstehen bei diesem Vorschlag somit zunächst mal neue Kosten. Die Panoramastrecke der Gäubahn muss instandgesetzt und modernisiert werden. Der Hasenbergtunnel und der Kriegsbergtunnel müssen neugebaut werden. Beim Kriegsbergtunnel steht auch eine Neutrassierung zur Diskussion, damit die Gäubahn ihren neuen Haltepunkt in Stuttgart-Nord zukünfig unmittelbar neben dem und parallel zum bestehenden Haltepunkt Stuttgart-Nord der S-Bahn haben kann. Weitere Kosten entstehen für eine modifizierte Einführung der Gäubahn (tiefergelegt, aber weiterhin an der Oberfläche) in einen modifizierten Stuttgarter Kopfbahnhof (ca. 10 Gleise).

Diesen neuen Kosten stehen aber massive Einsparungen gegenüber. Die Erholungswald fressende Rohrer Kurve muss nicht mehr gebaut werden. Die Umrüstung der nur für den S-Bahnverkehr gebauten Strecke zwischen Stuttgart-Rohr und dem Flughafen wird nicht mehr benötigt. Der eingleisige Tiefbahnhof für die Gäubahn beim Flughafen wird überflüssig. Die große, teilweise unterirdisch verlaufende Kurve der Gäubahn beim Langwieser See zur Einschleifung der Gäubahn in den Fildertunnel braucht nicht gebaut zu werden. In der Summe ergibt sich hier ein Einsparungsbetrag in hoher dreistelliger Millionenhöhe, der unmittelbar für die Panoramastrecke der Gäubahn und den Kombibahnhof verwendet werden kann.

Einsparungen beim Stuttgart 21-Tiefbahnhof können unmittelbar für die Kombilösung mit 10gleisigem Kopfbahnhof verwendet werden
Auch beim Stuttgart 21-Tiefbahnhof ergeben sich durch eine Kombilösung mit einem 10gleisigen Kopfbahnhof nicht zu unterschätzende Einsparpotenziale. An Stelle der bisher geplanten 8 Gleise reichen dann 6 Gleise aus. Das ermöglicht es zudem auch, die Bahnsteigbreite im Tiefbahnhof von bisher eher knappen 10 Metern auf 12,5 Meter zu vergrößern.

Auch auf das Ingenhoven-Konzept mit den Lichtaugen und den Kelchstützen beim Tiefbahnhof kann dann verzichtet werden. Ein Teil des Tiefbahnhofs wird dann zukünftig mit den 10 Gleisen und Bahnsteigen des Kopfbahnhofs überbaut sein. Die an den Kopfbahnhof unmittelbar anschließenden Teile des Tiefbahnhofs (das sind die Teile vom heutigen Gleis 6 des Kopfbahnhofs bis zum Kurt-Georg-Kiesinger-Platz sowie unter der Straße "Am Schlossgarten") werden zukünftig nach oben offen sein. Dadurch werden auf einen Schlag alle Brandschutz, Entrauchungs-, Entfluchtungs- und Schwallprobleme des Tiefbahnhofs obsolet. Der Rest des Tiefbahnhofs kann eine einfache Decke erhalten, die zudem nicht über das Niveau des Mittleren Schlossgartens hinausragt.

Hierdurch lassen sich beim Stuttgart 21-Tiefbahnhof beträchtliche Einsparungen erzielen, die unmittelbar in die Kombilösung mit dem Kopfbahnhof fließen können.

Kann ein Verzicht auf den Untertürkheimer Tunnel die beiden zusätzlichen Gleise für die Zufahrt Zuffenhausen finanzieren?
Die in diesem Blog schon seit jeher vertretene These, dass die Zufahrt Zuffenhausen mit ihren nur zwei Gleisen für den Fern- und Regionalverkehr bei Stuttgart 21 unterdimensioniert ist, wird mit den neuen Vorschlägen für mehr Gleise beim Bahnknoten Stuttgart aufgegriffen. Die beiden neuen Gleise für die Zufahrt Zuffenhausen (insgesamt das fünfte und sechste Gleis der Zufahrt Zuffenhausen) kosten selbstverständlich erst einmal Geld. Sinn machen diese beiden neuen Gleise jedoch nur, wenn sie im Rahmen einer Kombilösung nicht in den Stuttgart 21-Tiefbahnhof, sondern in einen 10gleisigen Kopfbahnhof geführt werden.

Insbesondere der Bereich zwischen dem Bahnhof Zuffenhausen und der Verzweigung der Strecken nach Ludwigsburg und Vaihingen/Enz bereitet in Bezug auf das erforderliche fünfte und sechste Gleis Probleme. Hier ist der Bahnkörper nicht breit genug, um diese beiden zusätzlichen Gleise an der Oberfläche zu führen. Sie müssen dort unterirdisch verlaufen, was die Kosten erhöht. 

Es stehen jedoch auch bei den zusätzlichen Kosten für das fünfte und sechste Gleis der Zufahrt Zuffenhausen Einsparpotenziale im Raum, mit denen diese zusätzlichen Kosten neutralisiert werden können.

Beim Untertürkheimer Tunnel von Stuttgart 21 stellt sich nämlich die Sinnfrage. Für welche Züge ist dieser Tunnel eigentlich sinnvoll? Die von Ulm kommenden ICE/IRE fahren über den Fildertunnel zum Hauptbahnhof, ebenso mindestens die Hälfte der von Tübingen kommenden Regionalzüge. Für den Untertürkheimer Tunnel verblieben in einer ersten Iteration somit die Hälfte der Regionalzüge von Tübingen sowie die über die Filstalbahn kommenden Züge. 

Die Regionalzüge von Tübingen sowie die von der Filstalbahn kommenden Regionalzüge sollten allerdings im wichtigen Bahnhof Bad Cannstatt anhalten, wenn sie schon durch das Neckartal fahren. Das ist aber einer der Hauptnachteile des Untertürkheimer Tunnels, dass dieser Tunnel den Bahnhof Bad Cannstatt umfährt und links liegenlässt. Es verblieben dann noch vielleicht einige wenige ICs von Ulm über die Filstalbahn oder von Nürnberg, die durch den Untertürkheimer Tunnel fahren könnten. Das ist eindeutig zu wenig.

Für den Untertürkheimer Tunnel stellt sich also die Sinnfrage. Ein Verzicht auf den Bau des Untertürkheimer Tunnels würde die für den Ausbau der Zufahrt Zuffenhausen auf sechs Gleise anfallenden zusätzlichen Kosten neutralisieren. Nun mag der Einwand kommen, dass der Untertürkheimer Tunnel ja schon im Bau sei. Ja, aber es ist bisher nur ein kleines Stück unter dem Neckar gebaut und auch da nur für diejenige der beiden Tunnelröhren, die bautechnisch weniger problematisch ist. Ein Baustopp für den Untertürkheimer Tunnel ist also kein Drama. Die bereits getätigten Investitionen sind im wahrsten Wortsinn Peanuts, wenn man das gesamte Projekt des Ausbaus des Bahnknotens Stuttgart dagegenhält.

Auch für den Cannstatter Tunnel muss eine Lösung gefunden werden
Die Kombilösung mit dem 10gleisigen Kopfbahnhof benötigt auch eine zweigleisige Zufahrt von Bad Cannstatt in den Kopfbahnhof. Bei Stuttgart 21 sind für die Zufahrt von Bad Cannstatt zwei Gleise für die S-Bahn und zwei Gleise für den Regionalverkehr/Fernverkehr in den Tiefbahnhof geplant. Aus Kapazitätsgründen ist es nicht erforderlich, zusätzlich zu diesen vier Gleisen zwei weitere Gleise von Bad Cannstatt in den Kopfbahnhof einzurichten. 

Die beiden für den Kopfbahnhof erforderlichen Gleise müssen sich also irgendwie mit dem Cannstatter Tunnel arrangieren und anfreunden. Ideal wäre es, den Cannstatter Tunnel so umzuplanen, dass er direkt in den Kopfbahnhof geführt wird. Sollte dies wegen des Baufortschritts und wegen der Trassenlage nicht mehr möglich sein, muss eine Abzweigung vom Cannstatter Tunnel in den Kopfbahnhof eingerichtet werden.

Jahrhundertchance oder Jahrhundertpleite?
Ob die jetzt vorgetragenen Forderungen nach zusätzlichen Gleisen für den Bahnknoten Stuttgart eine Jahrhundertchance darstellen, indem sie helfen, die größten Planungsfehler von Stuttgart 21 zu beseitigen, oder ob diese Forderungen zum endgültigen Crash von Stuttgart 21 beitragen, kann man jetzt noch nicht sagen.

Im heutigen Artikel in diesem Blog wird erst mal auf die Chancen abgehoben. Hier sollte sich auch die Bürgerbewegung gegen Stuttgart 21 konstruktiver einbringen, anstatt nur auf Totalopposition zu machen. Die Lebenserfahrung zeigt, dass der Kompromis ein integraler Bestandteil des Lebens ist. Sollten wie oben skizziert die wesentlichen Fehlplanungen von Stuttgart 21 beseitigt werden können und sollte das Ganze unter dem Strich sogar kostenneutral sein, wäre das Ganze einen Versuch wert.  
        
        

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