Sonntag, 15. März 2015

Licht und Schatten bei den Stuttgart 21-Gäubahn-Plänen von Minister Hermann

Im Rahmen des mit der Region Stuttgart, der Landeshauptstadt Stuttgart und der Bahn vereinbarten Pakets zur Verbesserung von Stuttgart 21 im Filderbereich hat Verkehrsminister Hermann als Vertreter des Landes Baden-Württemberg einige Dinge durchgesetzt, die bisher nicht geplant waren.

Dazu gehören der Ausbau des Bahnhofs S-Vaihingen zum Regionalverkehrs- und Umsteigebahnhof, die Ermöglichung der Fahrt von Doppelstock-Regionalzügen zwischen Böblingen und S-Vaihingen (Berghautunnel bei der Rohrer Kurve) sowie die Option einer Offenhaltung der Panoramastrecke der Gäubahn zumindest zwischen S-Vaihingen und S-Nord.

Im heutigen Post in diesem Blog geht es um diese Punkte des vereinbarten Pakets, nachdem es im vorangegangenen Post (Post vom 08.03.2015) um die Pläne am Stuttgarter Flughafen gegangen ist. Wir wollen heute genau herausarbeiten, was an den neuen Plänen für den Bahnhof S-Vaihingen und die Panoramastrecke der Gäubahn gut ist, was nicht so gut ist und was dringend geändert werden muss.


Es gibt ja bereits Stimmen, die diese Entscheidung für den Regionalbahnhof S-Vaihingen als den Einstieg in den Ausstieg aus Stuttgart 21 werten, indem dies der erste Schritt zur Erhaltung der gesamten Panoramastrecke der Gäubahn und auch zur Erhaltung des Kopfbahnhofs beim Stuttgarter Hauptbahnhof sei.

Es ist nicht auszuschließen, dass Minister Hermann diese Entwicklung in der Hinterhand hat und sie zur Zeit nur noch nicht offen kommuniziert. Für eine Bewertung der Pläne des Ministers können wir hier aber ausschließlich das heranziehen, was der Minister selbst dazu verlauten ließ. Das ist in erster Linie die Pressemitteilung des Verkehrsministeriums BW vom 08.03.2015. Minister Hermann führt in dieser Mitteilung vier Gründe für den neuen Regionalbahnhof Vaihingen und den vorsichtigen Einstieg in den Erhalt der Panoramastrecke an.
  1. Durch den neuen Regionalbahnhof Vaihingen können die Regionalzüge in der Zeit vor der Inbetriebnahme von Stuttgart 21 in S-Vaihingen anhalten und bereits frühzeitig die Verbindungen von der Gäubahn zum Flughafen verbessern.
  2. In der Zeit der Inbetriebnahme von Stuttgart 21 kann Vaihingen als Interims-Endbahnhof dienen.
  3. Eine dauerhafte Nutzung des Regionalbahnhofs S-Vaihingen kann durch Verdichterzüge der Gäubahn erfolgen, die in S-Vaihingen enden, ebenso, wenn der Flughafen wegen einer Störung nicht angefahren werden kann.
  4. Schließlich gibt es eine Zukunftsperspektive für die Panoramastrecke der Gäubahn dadurch, dass es zukünftig Züge von S-Vaihingen in Richtung S-Feuerbach-Ludwigsburg geben kann.
Der Regionalbahnhof Vaihingen zeigt, was ohne Stuttgart 21 in der Region alles möglich wäre
Kommen wir zum ersten Punkt. Hier gibt es absolut nichts zu meckern. Hier stimmt alles. Gerade durch die in spätenstens zwei bis drei Jahren (hoffentlich noch früher) stattfindende Inbetriebnahme des Regionalbahnhofs Vaihingen kann deutlich gezeigt werden, auf was diese Region Stuttgart wegen des Projekts Stuttgart 21 nun schon seit ca. 30 Jahren verzichten muss. Seit nunmehr 30 Jahren konzentriert sich alles in der Region Stuttgart auf das Projekt Stuttgart 21. Beim Ausbau des Bahnknotens Stuttgart gibt es nunmehr bereits einen Stau und Rückstand von 30 Jahren, einen Rückstand auch im Vergleich zu vielen anderen Metropolregionen in Europa. Vorhaben wie der Regionalbahnhof S-Vaihingen, die den Bahnknoten Stuttgart stufenweise ausbauen, hätte es ohne Stuttgart 21 bereits im Dutzend in der Region Stuttgart gegeben. Man kann nur hoffen, dass dieser Zusammenhang nach einer Inbetriebnahme des Regionalbahnhofs Vaihingen auch weiteren Bevölkerungskreisen offenbar wird.

Der Regionalbahnhof Vaihingen hat neben der von Minister Hermann genannten Verbesserung der Anbindung der Gäubahn an den Flughafen noch viele andere Vorteile. Der wichtige Verkehrsknoten sowie Ziel- und Quellbahnhof S-Vaihingen wird für die Reisenden der Gäubahn aus dem Raum vom Bodensee bis Herrenberg zukünftig schneller und einfacher erreichbar. Der Regionalbahnhof Vaihingen entlastet zudem die teilweise überlastete S1 zwischen Herrenberg und S-Vaihingen, indem Reisende von Herrenberg und von Böblingen nach Vaihingen zukünftig auch den Regionalzug benutzen können. Auch die Stammstrecke der Stuttgarter S-Bahn wird ein erstes Stück weit entlastet, indem Reisende zwischen dem Hauptbahnhof und S-Vaihingen zukünftig neben der S-Bahn auch mit den Regionalzügen fahren können.

Es gilt jetzt allerdings dafür Sorge zu tragen, dass der Regionalbahnhof Vaihingen zeitnah gebaut wird. Wegen der o.a. Gründe besteht die Gefahr, dass retardierende Kräfte in Aktion treten, die Stuttgart 21 durch den Regionalbahnhof Vaihingen gefährdet sehen.  

Benötigt man den Regionalbahnhof Vaihinen für die Stuttgart 21-Inbetriebnahme, müsste die Bahn diesen Bahnhof finanzieren
Kommen wir jetzt zum zweiten Punkt. Mit diesem Punkt kann man nicht einverstanden sein, vor allem vor dem Hintergrund, dass der Regionalbahnhof Vaihingen ja außerhalb der Finanzierungsvereinbarung zu Stuttgart 21 vom Land BW alleine finanziert werden soll. Wenn im Umfeld einer Inbetriebnahme von Stuttgart 21 ein vorübergehender Endhaltepunkt für die Züge der Gäubahn in S-Vaihingen erforderlich sein sollte, dann ist dies einerseits eine mittlere Katastrophe, andererseits aber auch ein integraler Bestandteil des Projekts Stuttgart 21 und muss im Rahmen dieses Projekts finanziert werden. Das heißt aber dann, dass die Bahn den Regionalbahnhof Vaihingen finanzieren muss. Sollte dies nicht gewünscht sein (zu einem gewissen Teil ist dies verständlich, weil man die Bahn ja auch noch braucht, um zum Beispiel den Umstieg vom Alles-oder-Nichts-Projekt Stuttgart 21 auf den etappierbaren Ausbau des Bahnknotens Stuttgart zu bewerkstelligen), dann sollte Minister Hermann diesen zweiten Punkt als Begründung für den Regionalbahnhof Vaihingen einfach weglassen.

Gibt das Land indirekt bereits zu, dass Stuttgart 21 am Flughafen nicht funkioniert?
Jetzt geht es zum dritten Punkt. Im Regionalbahnhof S-Vaihingen sollen dauerhaft Verdichterzüge der Gäubahn enden. Dieser Punkt hat bei näherem Betrachten einiges an Sprengkraft. Wird hier indirekt bereits zugegeben, dass Stuttgart 21 nicht leistungsfähig genug ist, um alle für die Gäubahn geplanten Züge zu fahren? Wir haben im vorangegangenen Post in diesem Blog ja genau diesen Problempunkt ausführlich besprochen mit dem Ergebnis, dass dies tatsächlich so zu sein scheint. Der "Flughafenmurks" von Stuttgart 21 - zu dem auch die jetzt präsentierte Variante Drittes Gleis am Flughafen gehört - scheint tatsächlich nicht in der Lage zu sein, die Züge der Gäubahn adäquat zu bedienen. Wenn das Land dies auch so sieht, dann sollte man aber auch mit offenen Karten spielen. Dann sollte man zugeben, dass die Gäubahn auch zukünftig und auf Dauer doch besser über die zweigleisige, potenziell hochleistungsfähige Panoramastrecke zum Stuttgarter Hauptbahnhof fahren muss.

Die Panoramastrecke hat nur als radiale Strecke zum Hauptbahnhof eine Zukunft
Kommen wir jetzt zum vierten und mit Abstand wichtigsten Punkt. Minister Hermann kann sich vorstellen, dass auch nach einer Inbetriebnahme von Stuttgart 21 Züge auf der Panoramastrecke der Gäubahn verkehren, allerdings nicht in der Form einer Radiallinie (also direkt zum Hauptbahnhof), sondern als Tangentiallinie von S-Vaihingen nach S-Feuerbach (also am Zentrum vorbeifahrend und von einer Radialstrecke mittels einer Übereckverbindung auf eine andere Radialstrecke wechselnd). Hierbei beruft sich Hermann auch auf Heiner Geißler, der in seinem sogenannten Schlichterspruch den Erhalt der Panoramastrecke der Gäubahn und deren Anbindung in Richtung S-Feuerbach forderte.

Nun könnte man zu diesem Punkt zunächst mal ein wenig polemisch antworten. Was eigentlich, so lautet die Frage, ist denn von Geißlers Schlichterspruch überhaupt umgesetzt worden? Sind etwa die Bäume im Schlossgarten erhalten geblieben, wie es Geißler gefordert hat? Bringt etwa Stuttgart 21 dreißig Prozent mehr Leistung als der bestehende Kopfbahnhof? Die Antwort lautet jeweils nein. Es ist darüber hinaus praktisch nichts von Geißlers Schlichterspruch umgesetzt worden. Von daher muss man es als blauäugig bezeichnen, wenn Minister Hermann jetzt für den Erhalt der Panoramastrecke der Gäubahn den Schlichterspruch von Geißler heranzieht. Im Übrigen hat Geißler diesen Schlichterspruch in einer Art der Selbstüberschätzung ohne Hinzuziehung von Fachleuten gesprochen. Darüber hinaus hat eigentlich niemand einen Schlichterspruch von Geißler erbeten bzw. erwartet.

Abgesehen von diesen Unstimmigkeiten beim Geißlerschen Schlichterspruch gibt es auch ganz klare fachliche Gesichtspunkte, die gegen die Führung von Zügen über die Panoramastrecke und tangential weiter nach S-Feuerbach sprechen. Man sehe sich nur mal verschiedene Streckennetze von S-Bahnsystemen der deutschen Großstädte sowie von Streckensystemen der deutschen Bahnknotenpunkte an. Nirgends wird man eine Tangentiallinie finden. Und das aus gutem Grund. 

Tangentiallinien sind nicht praktikabel
Tangentiallinien haben große Probleme. Sie müssen von einer Radialstrecke in eine andere Radialstrecke eingefädelt werden. Das erfordert entweder aufwändige Überwerfungsbauwerke oder leistungsmindernde höhengleiche Gleiskreuzungen. Tangentiallinien sind zudem lange nicht so stark nachgefragt wie Radiallinien. Sie nehmen ggf. den Radiallinien wertvolle Fahrplantrassen weg.

Die Panoramastrecke der Gäubahn ist nur dann überlebensfähig, wenn die Bahn als Eigentümer wirtschaftliche Perspektiven sieht (Die Bahn muss die Panoramastrecke von der Landeshauptstadt Stuttgart zurückkaufen). Wirtschaftlich ist die Panoramastrecke für die Bahn nur, wenn dort genügend Züge fahren und somit auch genügend Trassen- und Stationsgebühren hereinkommen. Nur so wird die Instandhaltung und darüber hinaus auch Modernisierung der Panoramastrecke für die Bahn interessant werden. Es sei noch einmal erwähnt, dass voraussichtlich in den Dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts die beiden Tunnel im Verlauf der Panoramastrecke (Hasenbergtunnel und Kriegsbergtunnel) neugebaut werden müssen. Auch dies ist nur möglich (es gibt hierfür Investitionszuschüsse des Bundes), wenn genügend Züge fahren.

Sollte die Panoramastrecke zukünftig nur für eine tangentiale Bahnlinie zur Verfügung stehen, wird vielleicht jede halbe oder nur jede Stunde ein Zug pro Richtung fahren. Wird jedoch auch zukünftig der gesamte Verkehr der Gäubahn als Radiallinie über die Panoramastrecke geleitet, rechnet sich ihr Unterhalt und ihre Modernisierung. Das wären dann ca. 6 Züge pro Stunde und Richtung (zwei Metropolexpresszüge nach Horb, zwei Express-S-Bahnen zum Flughafen und zwei schnelle Züge irgendwohin in den weiten Südwesten von BW).

Als Radialstrecke ist die Panoramastrecke der Gäubahn nicht nur zukunftsfähig, sondern darüber hinaus auch dringend notwendig für den Bahnknoten Stuttgart - egal ob jetzt mit oder ohne Stuttgart 21. Die zweigleisige Panoramastrecke stellt eine potenziell hochleistungsfähige Zulaufstrecke zum Stuttgarter Hauptbahnhof dar, die dringend benötigt wird, um den Bahnknoten Stuttgart leistungsfähig zu halten bzw. erst zu machen.

Also reden wir Tacheles: Die Panoramastrecke wird nur dann erhalten bleiben, wenn sie auch zukünftig den gesamten Verkehr der Gäubahn bis zum Stuttgarter Hauptbahnhof aufnimmt. Die Vorstellungen von Minister Hermann für eine tangentiale Funktion der Panoramastrecke werden sich in Luft auflösen.

Und jetzt kommen wir doch noch einmal zu Heiner Geißler zurück. Der Schlichterspruch von Heiner Geißler ist längst ungültig. Diesen Spruch hat Geißler doch schon längst durch etwas anderes ersetzt, wobei er hier nicht den gleichen Fehler ein zweites Mal gemacht hat, dass er nämlich keinen Fachmann hinzugezogen hat. Bei der Präsentation des Stresstests zu Stuttgart 21 hat Geißler einen neuen Vorschlag präsentiert, den er zusammen mit Werner Stohler, Alt-CEO der Schweizer Verkehrsberatungsfirma SMA, erarbeitet hat. Dieser Vorschlag ersetzte den Schlichterspruch. Der Vorschlag sah eine Kombilösung für den Bahnknoten Stuttgart vor. Bestandteil der Kombilösung ist der vollständige Erhalt der Gäubahn als radiale Verkehrsachse zum Hauptbahnhof einschließlich des Erhalts des Kopfbahnhofs. Wenn sich Minister Hermann also auf Heiner Geißler beruft, dann darf er sich ausschließlich auf den Vorschlag der Kombilösung berufen, die die Gäubahn auf der Panoramstrecke als raidale Achse erhält.

Was jetzt für die Gäubahn und den Bahnknoten Stuttgart zu tun ist
Die weitere Agenda für die Gäubahn und den Bahnknoten Stuttgart scheint somit klar zu sein:
  • Der Regionalbahnhof Vaihingen muss möglichst zeitnah gebaut werden.
  • Die Panoramastrecke der Gäubahn muss als radiale Bahnstrecke zum Hauptbahnhof erhalten bleiben.
  • Der gesamte Gäubahnverkehr (ca. 6 Züge pro Stunde und Richtung in Zukunft) wird weiterhin über die Panoramastrecke zum Hauptbahnhof geführt.
  • Es wird eine Express-S-Bahn vom Hauptbahnhof zum Flughafen über die Panoramastrecke und einem Halt in S-Vaihingen eingerichtet.
  • Der dreigleisige Ausbau des Abschnitts Böblingen-Herrenberg der Gäubahn wird vorangetrieben.
  • Die eingleisigen Streckenabschnitte der Gäubahn zwischen Horb und Tuttlingen werden zweigleisig ausgebaut.
  • Alle von Vaihingen zum Flughafen fahrenden S-Bahnlinien werden im Flughafenbahnhof unmittelbar in Richtung Wendlingen durchgebunden.
  • Die Rohrer Kurve darf nicht gebaut werden.
  • Das dritte Gleis beim bestehenden Flughafenbahnhof wird nicht gebaut.
  • Die nur für S-Bahnen gebaute Strecke zwischen S-Rohr und Flughafen wird weiterhin ausschließlich von S-Bahnen befahren.

Wir wünschen Verkehrsminister Hermann weiterhin gutes Gelingen beim Bau des Regionalbahnhofs Vaihingen und darüber hinaus beim etappierbaren Ausbau des Bahnknotens Stuttgart!         
    

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