Sonntag, 1. September 2013

Nach Stuttgart 21-Desaster übt sich die DB in Schadensbegrenzung

Mit Stuttgart 21 ist für die Deutsche Bahn AG (DB) kein Blumentopf zu gewinnen. Ausufernde Kosten, die sich auf ein Vielfaches der ursprünglich veranschlagten Beträge belaufen, große Probleme bei der konkreten Bauausführung, die ein schlechtes Licht auf die diesbezüglichen Kompetenzen der DB werfen, politische Verwerfungen, die die DB andauernd in einem Spannungsfeld und in einem schlechten öffentlichen Licht dastehen lassen sowie ein unter unabhängigen Verkehrsfachleuten äußerst umstrittenes Projekt: All dies bewirkt nun, dass Stuttgart 21 auch für die DB zu einem Waterloo zu werden droht - wie das ja bereits für den Bahnverkehr als solchen und auch für die Landeshauptstadt Stuttgart der Fall ist.

Um hier eine erste Schadensbegrenzung zu erreichen, hat die DB der Septemberausgabe ihrer monatlich erscheinenden Kundenzeitschrift "mobil" eine 24seitige Beilage hinzugefügt. Sinn der Beilage ist es in erster Linie, qualifizierte Mitarbeiter zu werben und hierzu die DB in einem möglichst guten Licht dastehen zu lassen. Stuttgart 21 wird in dieser Beilage freilich aus gutem Grund nicht erwähnt - mit einer Ausnahme.


Die Ausnahme findet sich in einem Interview mit Bahnvorstand Kefer. Ja, auch dazu dient diese Beilage, dass sich der angeschlagene Vorstand Kefer in einem möglichst guten Licht präsentieren kann. Kefer darf in dem Interview begründen, warum es ganz normal ist, dass er das Technikressort abgetreten hat bzw. abtreten musste. Er sagt unter anderem, dass er mit Stuttgart 21 eigentlich drei Vorstandsressorts gleichzeitig wahrnehmen musste (Technik, Infrastruktur, Stuttgart 21), so dass eine Entlastung dringend geboten war.

Das wars dann aber auch schon zu Stuttgart 21. Eigentlich nachvollziehbar, denn mit Stuttgart 21 lassen sich keine guten Mitarbeiter werben. Dieses Projekt verschweigt man im Zusammenhang mit Mitarbeiterwerbung besser.

Bahn ist stolz auf ihre Projekte - Stuttgart 21 wird aber nicht erwähnt
Andere Projekte der Bahn werden hingegen in der 24seitigen Beilage durchaus vorgestellt und als Werbung für die Bahn verwendet. Allerdings zeigt sich hier teilweise das problematische Verständnis der Bahn von Mobilität.

So wird zum Beispiel die neue Froschgrundseebrücke im Verlauf der NBS Erfurt-Nürnberg näher vorgestellt. Diese Brücke ist anscheinend die Eisenbahnbrücke mit dem größten Bogen in Europa. Der Artikel überschlägt sich fast vor Stolz. Diese Brücke ist einer der "technisch wie optisch beeindruckendsten Neubauten der Bahn". Nun wollen wir der Bahn diesen Stolz nicht nehmen. Jedoch wird in diesem Artikel ein Stück weit so getan, als sei die Froschgrundseebrücke ein Selbstzweck, so etwas ähnliches wie die Pyramiden von Gizeh.

Kein Wort wird darüber verloren, wie problematisch die NBS Erfurt-Nürnberg ist. Diese hundsteure Strecke mit vielen Tunnels und Brücken ("U-Bahn durch den Thüringer Wald") wird nicht einmal im Ansatz ausgelastet sein. Güterzüge können tagsüber dort nicht verkehren, weil sie in den einröhrigen Tunnels den ICE-Zügen nicht begegnen dürfen. Die Fahrzeit zwischen Erfurt und Nürnberg wird im ICE ca. 70 Minuten oder mehr betragen, also weit entfernt von einer für den integralen Taktfahrplan und die "Volle-Stunde-Taktknoten" Erfurt und Nürnberg eigentlich erforderlichen Fahrzeit von 60 minus 2 = 58 Minuten bzw. 120 minus 2 = 118 Minuten. (Sofern es gelingt, in Nürnberg oder in Erfurt zusätzlich einen vollwertigen "Halbe-Stunde-Taktknoten" einzurichten, ist auch eine Fahrzeit von 90 minus 2 = 88 Minuten sinnvoll. Diese Fahrzeit hätte sich auch mit einem Ausbau der Bestandsstrecke über Jena erreichen lassen). Die Fahrpreise werden wegen der hohen Trassengebühren ebenfalls sehr hoch sein, so dass sich nur die Besserbetuchten die Fahrt werden leisten können. Als Folge davon wird wohl zwischen Berlin und München bald eine Luftbrücke im Stundentakt oder Halbstundentakt mit kleineren Flugpreisen eingerichtet (sofern die Kapazität des Start- und Landebahnsystems in München und Berlin dafür nicht ausreicht, werden früher oder später wesentlich größere Flugzeuge bis zum A 380 zum Einsatz kommen). Die Führung der Strecke über Erfurt ist zudem ausschließlich der Schnapsidee des vormaligen thüringischen Landesfürsten Vogel geschuldet, der diese Strecke partout über die Landeshauptstadt Erfurt führen wollte. Dabei hätte die Strecke eigentlich von Leipzig/Halle direkt über Jena nach Nürnberg geführt werden müssen.

Provinzfürst Bernhard Vogel hinterlässt Spuren
Dieser Bernhard Vogel - jetzt kommen wir aber ein wenig vom Thema ab - war ja der einzige Ministerpräsident Deutschlands, der gleich in zwei Bundesländern amtiert hat (Rheinland-Pfalz, Thüringen). Soweit, so gut. Jetzt kommt aber der bittere Nachgeschmack. In beiden Bundesländern hat er in verheerender Weise auf die Bahn eingewirkt mit negativen Folgen bis heute. Während seiner Zeit in Rheinland-Pfalz hat er darauf bestanden, dass im Verlauf der NBS Köln-Frankfurt im rheinland-pfälzischen Montabaur ein ICE-Halt eingerichtet wird - nur wenige Kilometer vom hessischen ICE-Halt Limburg entfernt. Dieser ICE Halt trägt zur Zersiedelung des Westerwalds bei und vermindert die Kapazität der NBS entscheidend. Das war Vogel aber nicht genug. In Erfurt begann er das Spiel von vorn. Ihm reichte nicht aus, dass Erfurt an der zukünftigen NBS Frankfurt-Leipzig-Dresden liegt. Er wollte auch noch die NBS Leipzig-Nürnberg über seine Provinzhauptstadt geführt sehen. Die Folge sind große Umwege für die Nord-Süd-Reisenden, eine ganz teure Trassenführung und das Abhängen von Jena vom Fernverkehr.

Die Bahn kann Bahnhöfe ausbauen - in Erfurt, Halle und Leipzig
Kehren wir aber wieder zur Bahn und zur Sonderbeilage der Zeitschrift mobil zurück. Da erfährt der überraschte Reisende, dass die Bahn große Summen in den Ausbau der Bahnhöfe Halle, Erfurt und Leipzig investiert bzw. jetzt in den kommenden Jahren investieren wird. In all diesen Städten will die Bahn separate Bahnsteige für den Nah- und den Fernverkehr einrichten. Das ist nach Auffassung der Bahn für die Reisenden am günstigsten, weil sie so möglichst wenig den Bahnsteig beim Umsteigen wechseln müssen. Die Bahnsteige und die Bahnhöfe sollen zudem grundlegend modernisiert werden.

Also noch einmal: da wurde bzw. wird der Bahnhof Erfurt grundlegend umgebaut und modernisiert und auf 10 Bahnsteiggleise erweitert. Die Bahnsteige werden verbreitert. Regional- und Fernverkehr werden getrennt. Da wird der Bahnhof Halle grundlegend umgebaut und erweitert, mit 13 Bahnsteiggleisen. Und da wird der Bahnhof Leipzig grundlegend umgebaut, mit 23 Bahnsteiggleisen.

Aber genau das wollen wir doch auch für den Stuttgarter Hauptbahnhof haben! Mit dem achtgleisigen, platzbeengten und betriebsteuren Tiefbahnhof bei Stuttgart 21 kann man all diese Dinge, die da für Erfurt, Halle und Leipzig im Bau und in Planung sind, garantiert nicht umsetzen. Eine Trennung von Regional- und Fernverkehr ist beim Stuttgart 21-Tiefbahnhof utopisch.

Wenn man diese Planungen für die Bahnhöfe Erfurt, Halle und Leipzig liest, wird schnell klar, dass die Bahn eigentlich auch in Stuttgart so etwas machen wollte. Der Stuttgarter Hauptbahnhof mit seinen 16 Gleisen lässt sich bekanntlich genauso modernisieren wie das für die Bahnhöfe Erfurt, Halle und Leipzig im Gang bzw. geplant ist - mit breiteren Bahnsteigen, neuen Fußgängerunterführungen, einem neuen Dach, einer Trennung von Fern- und Regionalverkehr sowie einem Umbau des Gleisvorfelds, so dass dort wie in Halle geplant eine Geschwindigkeit von 80 km/h mindestens bei der Ausfahrt, aber auch mit besseren Sicherungstechniken bei der Einfahrt möglich wird.

Wer geht als erstes über die goldene Brücke in Richtung etappierbarer Ausbau des Bahnknotens Stuttgart?
Aber leider kann die Bahn in Stuttgart bisher nicht das machen, was sie in Erfurt, Halle und Leipzig macht. Denn auch in Baden-Württemberg gab es Landesfürsten, die ihr eigenes Süppchen kochten und die ihren Namen mit einem Pyramiden-Projekt verknüpft sehen wollten. Auswege aus dieser Misere gibt es freilich durchaus. Das Umschwenken von Stuttgart 21 zu einem etappierbaren Ausbau des Bahnknotens Stuttgart ist nach wie vor möglich. Das im Bau befindliche unterirdische Technikgebäude kann auch für den Kopfbahnhof Verwendung finden. Selbst der gerade im Bau befindliche vorgerückte Querbahnsteig ergibt für den Kopfbahnhof einen Sinn. Denn mit diesem Querbahnsteig kann man zwei Jahre lang die ersten hundert Gleismeter des Kopfbahnhofs grundlegend sanieren und modernisieren. Der im Bau befindliche Körschtalviadukt wird dringend für die Express-S-Bahn Flughafen-Wendlingen-Plochingen benötigt. Es sind also goldene Brücken, die da in Richtung des etappierbaren Ausbaus des Bahnknotens Stuttgart bereitliegen. Ich bin gespannt, wer als erstes über die Brücken geht.                          

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