Sonntag, 25. August 2013

Wird Stuttgart`s OB Fritz Kuhn zum Rohrkrepierer vom Nesenbach?

Am 20.08.2013 trat Fritz Kuhn bei einer Gesprächsrunde bei der Firma Dekra auf. Schenkt man den Zeitungsberichten von dieser Veranstaltung Glauben, dann hat Fritz Kuhn dort nur sehr wenig zu Stuttgart 21 gesagt. Diese wenigen Worte haben es jedoch in sich. Das ist tatsächlich nicht gerade der Weisheit letzter Schluss, was Fritz Kuhn da zu Stuttgart 21 von sich gegeben hat.

Sinngemäß hat Fritz Kuhn folgendes gesagt:

Man lebe eben in einer Demokratie und er habe sich nun darum zu kümmern, „dass die Stadt in den zehn Jahren, in denen das gebaut wird, funktioniert“. Lieber wäre es ihm allerdings, „wenn das meine SSB bauen würde, denn die können Tunnel“.

Diese Äußerungen wollen wir uns jetzt mal näher ansehen.


Nimmt Fritz Kuhn die Demokratie selektiv wahr?
Anscheinend lebt Fritz Kuhn in einer Demokratie mit selektiver Wahrnehmung. Selbstverständlich gab es die Volksabstimmung des Landes über die Landesbeteiligung zu Stuttgart 21. Und selbstverständlich haben die Gegner des Ausstiegs des Landes aus Stuttgart 21 die Mehrheit bei der Volksabstimmung gestellt (im Land etwas größer, in Stuttgart relativ knapp). Und selbstverständlich muss man dieses Ergebnis der Volksabstimmung anerkennen (auch wenn vieles nicht so gelaufen ist, wie man sich das für eine Volksabstimmung mit einer sachlichen und neutralen Information der Bevölkerung in deren Vorfeld vorstellt).

Allerdings ist die Volksabstimmung des Landes zu Stuttgart 21 nicht der einzige politische Akt, den Fritz Kuhn in Bezug auf Stuttgart 21 berücksichtigen muss. Es gibt weitere politische Akte, die mindestens dieselbe Wertstufe haben wie die Volksabstimmung. 

Hier ist als erstes die Direktwahl von Fritz Kuhn zum Oberbürgermeister von Stuttgart zu nennen. Fritz Kuhn wurde mit einem Stimmenanteil und mit einer absoluten Stimmenzahl zum Oberbürgermeister von Stuttgart gewählt, die zum Beispiel sein Vorgänger Schuster nie erreicht hat. Fritz Kuhn wurde zum Oberbürgermeister von Stuttgart gewählt, nachdem er im Wahlkampf seine Ablehnung von Stuttgart 21 vielfach deutlich gemacht hat.

Wenn also Fritz Kuhn die Volksabstimmung des Landes zu Stuttgart 21 erwähnt, dann muss er mit genau derselben Wertigkeit, in genau demselben Satz und genau mit derselben Betonung seine Direktwahl zum Oberbürgermeister von Stuttgart erwähnen. Denn es wurde bei dieser OB-Wahl jemand zum Oberbürgermeister von Stuttgart gewählt, der Stuttgart 21 im Wahlkampf und auch in den Jahren zuvor stets abgelehnt hat. Damit hat sich die Mehrheit der Stuttgarter für einen OB entschieden, der Stuttgart 21 ablehnt.

Direktwahl des OB kontra Wahl des Gemeinderats
Eine weitere Ausrede, die auch Fritz Kuhn bereits des öfteren herangezogen hat, ist die derzeitige Mehrheit im Gemeinderat von Stuttgart für das Projekt Stuttgart 21. Gegen diese Mehrheit - so geht die Rede - könne man auch als OB nichts ausrichten. Selbstverständlich gibt es zur Zeit diese Mehrheit im Gemeinderat für Stuttgart 21.

Aber die Direktwahl des Stuttgarter Oberbürgermeisters hat dieselbe Stufe der politischen Wertigkeit wie die Wahl des Gemeinderats. Wenn also in Bezug auf Stuttgart 21 die Pro-Stuttgart 21-Mehrheit des Gemeinderats erwähnt wird, dann muss in derselben Rede und mit derselben Betonung auch die Direktwahl des OB Fritz Kuhn, der sich stets gegen Stuttgart 21 positioniert hat, genannt werden. Also ist hier bestenfalls ein Patt vorhanden. 

Fritz Kuhn sieht die Sache dagegen wohl so, als ob er vom Gemeinderat gewählt worden wäre. So könnte man die Sache tatsächlich sehen, wäre man auf Landes- oder Bundesebene. Sowohl der Ministerpräsident des Landes als auch der Bundeskanzler werden nicht direkt vom Volk, sondern vom Parlament gewählt. Das aber ist auf der Ebene der Städte und Gemeinden anders. Wenn Fritz Kuhn sich bei seinem Handeln zu Stuttgart 21 nur auf die Pro-Stuttgart 21-Mehrheit im Gemeinderat beruft, dann kann man die Direktwahl des OB in Stuttgart eigentlich abschaffen. Dann brauchen wir diesen politischen Akt, der ja auch jede Menge Geld kostet und der bei der Bevölkerung eine berechtigte Erwartungshaltung weckt, nicht. 

Die Volksabstimmung des Landes darf die Politik des Stuttgarter OB nicht beeinflussen
Eine weitere, ganz bedeutende Unstimmigkeit besteht darin, dass OB Fritz Kuhn eine Volksabstimmung des Landes als Rechtfertigung für sein politisches Handeln als OB der Landeshauptstadt Stuttgart nennt. Das stinkt gewaltig zum Himmel.

Stuttgart 21 ist nun mal kein normales Verkehrsprojekt, das im Bundesverkehrswegeplan verankert ist. Stuttgart 21 ist ein Bauprojekt, für das verschiedene gleichberechtigte Partner einen Vertrag abgeschlossen haben. Das Land ist einer der Vertragspartner, die Landeshauptstadt Stuttgart ist ein anderer Vertragspartner.

Bei dieser Konstellation kann sich der oberste Vertreter des Vertragspartners Stuttgart - zur Zeit OB Fritz Kuhn - doch nicht bei seinem Handeln auf einen politischen Akt des Vertragspartners Land berufen. Der oberste Vertreter des Vertragspartners Stuttgart hat doch ganz andere Aufgaben in Bezug auf Stuttgart 21 und ganz andere Verantwortlichkeiten als der Vertragspartner Land. Was die Volksabstimmung generell betrifft, bleibt in Erinnerung, dass eine Volksabstimmung der Stuttgarter Bürger zum Stuttgarter Finanzierungsanteil an Stuttgart 21 zweimal mit fadenscheinigen Argumenten abgelehnt worden ist, jeweils gerade dann, wenn die Gegner von Stuttgart 21 gemäß den Umfragen eine hohe Mehrheit gehabt hätten. Das sind die Dinge, an die Fritz Kuhn beim Thema Volksabstimmung denken sollte, und nicht an die Volksabstimmung des Vertragspartners Land.            

Jeder politische Akt ist zeitlich befristet
Unklar bleibt auch die zeitliche Befristung des politischen Akts der Volksabstimmung. Unstrittig ist, dass der politische Akt, der zur Wahl von Fritz Kuhn zum OB von Stuttgart geführt hat, eine zeitlich befristete Wirkung hat. Fritz Kuhn ist bis längstens Ende 2020 OB von Stuttgart. Wie aber sieht es mit der zeitlichen Befristung des politischen Akts der Volksabstimmung des Landes zu Stuttgart 21 aus? Selbstredend kann auch dieser politische Akt nicht für alle Ewigkeit gelten. In Bayern, einem Vorbild für Volksabstimmungen, sind Volksentscheide nur für die Dauer eines Jahres bindend. Dieses Jahr ist bei der Stuttgart 21-Volksabstimmung des Landes längst vorbei.

Auch in Bezug auf die zeitliche Befristung eines politischen Akts verstrickt sich Fritz Kuhn somit in Widersprüche. Er tut so, als wäre der politische Akt der Volksabstimmung des Landes zu dessen Anteil für Stuttgart 21 zeitlich unbegrenzt gültig, während der politische Akt seiner Wahl zum OB von Stuttgart selbstverständlich eine zeitliche Befristung hat. 

Oh je, jetzt kommt die SSB
Kommen wir jetzt zur Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB), zu - wie Fritz Kuhn es sagte - "meiner SSB", zur SSB, die nach Ansicht von Fritz Kuhn "Tunnel kann" und die nach Ansicht von Fritz Kuhn die Stuttgart 21-Tunnel an Stelle der Bahn bauen soll. Hierzu habe ich in der Stuttgarter Zeitung-Internetausgabe einen Kommentar gefunden (Kommentar von Jasmin vom 20.08.2013, 21:27 zum Artikel über den Auftritt von Fritz Kuhn bei der Dekra):  

"Die SSB baut keine Tunnel. Hat sie nie, wird sie nie. Tunnel baut das TBA, Tiefbauamt. Und auch die bauen eigentlich nicht, sondern lassen bauen. Lassen planen. Die machen außer bezahlen nichts. Aber was erwartet man auch von Menschen, die nicht zwischen Bus und Stadtbahn unterscheiden können."

Diesem Kommentar ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Auch wenn es mir fern liegt, die Bahn irgendwie verteidigen zu wollen, so könnte man allenfalls zusätzlich zu diesem Kommentar noch feststellen, dass die Bahn in Deutschland bereits ein Vielfaches der Tunnel gebaut hat, die die SSB bzw. richtigerweise das Tiefbauamt bisher gebaut haben.

Was bezweckt eigentlich Fritz Kuhn mit einer solchen Aussage? Tut er das, um sich bei der SSB einzuschmeicheln? Hat er nur unzureichend Ahnung von gewissen Abläufen und Zuständigkeiten bei der Kommunalverwaltung? M.E. trifft wohl leider das Letzere zu. Da zeigt sich auch eine gewisse Tragik in der beruflichen Biographie von Fritz Kuhn. Der Normalfall einer Politikerkarriere ist doch der, dass man zuerst irgendwo Bürgermeister oder Oberbürgermeister wird und dann erst in die Landespolitik oder in die Bundespolitik geht. Das bekannteste Beispiel dafür ist Konrad Adenauer. Er war lange Oberbürgermeister von Köln. Dann wurde er Bundeskanzler. Bei Fritz Kuhn verhält es sich umgekehrt. Er war jahrzehntelang in der Landespolitik und Bundespolitik und damit relativ abgehoben von den lokalen Themen und Problemen. Jetzt im relativ fortgeschrittenen Alter ist er in die Kommunalpolitik gewechselt.

Der Wunsch Fritz Kuhns bezüglich der Zuständigkeiten für den Tunnelbau bei Stuttgart 21 hat auch eine dümmliche und sogar gefährliche Komponente. Denn Kuhn suggeriert damit, dass das Projekt Stuttgart 21 nur deshalb so schlecht ist, weil die Bahn die Tunnel baut. Würde jemand anderes als die Bahn die Tunnel bauen, wäre nach Auffassung Kuhns Stuttgart 21 wohl ein gutes Projekt. 

Dabei ist es vollkommen unerheblich, ob jetzt die Bahn, die SSB oder ein Maulwurf die Tunnel für Stuttgart 21 bauen. Dieses Projekt ist und bleibt das schlechteste Verkehrsprojekt Europas, nur durch Tricks und Täuschungen zustandegekommen, ein Projekt, das die Eisenbahn im Südwesten Deutschlands in eine ganz schlechte Zukunft schickt, ein Projekt, das die Landeshauptstadt Stuttgart im europäischen und deutschen Städteranking zurückwerfen würde.  

Und wen meint eigentlich Fritz Kuhn, wenn er von "meiner SSB" spricht? Wenn er damit die vielen Mitarbeiter der SSB meint, die tagtäglich ihren schwierigen Dienst (zum großen Teil Schichtdienst) für die Bürgerinnen und Bürger von Stuttgart tun, dann ist das absolut in Ordnung. Wenn er damit aber den Technischen Vorstand der SSB, Wolfgang Arnold, meint, der seinem Vorgänger Schuster zu Diensten war und der maßgeblich zur Durchsetzung von Stuttgart 21 gegenüber bestimmten Teilen des politischen Spektrums beigetragen hat, dann wäre dies Betrug am Wähler.

Erfüllt Fritz Kuhn die Aufgaben eines Stuttgarter OB in Bezug auf Stuttgart 21?
Der Stuttgarter OB ist dem Wohl der Stadt verpflichtet. Gleichzeitig ist OB Fritz Kuhn der Stuttgarter Bevölkerung verpflichtet, die ihn im Bewusstsein mit Mehrheit gewählt hat, dass er Stuttgart 21 ablehnt. Setzt Fritz Kuhn in diesem Sinne alles in Bewegung?

Wo bleibt denn bitte schön die Rückabwicklung des Grundstücksgeschafts für das D-Gebiet von Stuttgart 21 (Gäubahn), die Fritz Kuhn unmittelbar vor seiner Wahl fest versprochen hat?

Was unternimmt Fritz Kuhn, um denjenigen Teil des Grundstücksgeschäfts für das A2-Gebiet rückabzuwickeln, der sich unmittelbar über dem geplanten Tiefbahnhof befindet und mit dem die Stadt Stuttgart nichts anfangen kann?

Hat Fritz Kuhn den Vorstand der Bahn und den Aufsichtsrat der Bahn darauf aufmerksam gemacht, dass ab 2020 Verzugszinsen für die von der Stadt im Voraus gekauften Grundstücke bei Stuttgart 21 anfallen und dass diese Verzugszinsen in der dem Aufsichtsrat vorgelegten Wirtschaftlichkeitsbetrachtung nicht berücksichtigt sind?

Hat Fritz Kuhn Maßnahmen eingeleitet, um alle Grundstücksgeschäfte vorläufig rückgängig zu machen bis zu dem Zeitpunkt, zu dem zweifelsfrei und gerichtsfest klar ist, dass die heutigen Gleisanlagen überhaupt freiwerden und einer anderen Nutzung zugeführt werden können?

Erwägt Fritz Kuhn gerichtliche Schritte gegen den Vorstand der DB und gegen den Bahn-Aufsichtsrat, weil die vorgelegte und bewertete Wirtschaftlichkeitsberechnung zu Stuttgart 21 all die genannten Punkte und noch andere mehr nicht berücksichtigt? Dabei ist selbst bei der unvollständigen vorgelegten Wirtschaftlichkeitsberechnung der Weiterbau von Stuttgart 21 nur um ganz wenige Millionen Euro günstiger als der Stopp des Projekts.

Wann beginnt Fritz Kuhn mit der Diskussion von Alternativen zu Stuttgart 21, wie er es nach seiner Wahl zum OB von Stuttgart angekündigt hat? 


Fritz Kuhn und die Stuttgarter Seilschaften
Möglicherweise ist Fritz Kuhn zur Zeit nicht in der Lage, die Hintergründe und Seilschaften auf kommunaler Ebene in Stuttgart richtig zu durchschauen. Er hat wohl auch nicht die richtigen Berater dafür. Acht Jahre Oberbürgermeister sind jedoch eine lange Zeit. Als Bürger von Stuttgart kann man diese Zeit nicht einfach ausblenden, abwarten oder aussitzen. Deshalb kann man Fritz Kuhn nur eindringlich raten, dass er sich bemüht, Profil zu gewinnen, dass er zukünftig Rückgrat zeigt und dass Sätze, wie er sie bei der Gesprächsrunde bei der Firma Dekra zu Stuttgart 21 geäußert hat, zukünftig nicht mehr vorkommen.


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