Sonntag, 2. Juni 2013

Stadtbahn-Desaster am Killesberg ist Vorzeichen für Stuttgart 21

Am Stuttgarter Killesberg tut sich zur Zeit Einiges. Nach dem Wegzug der Messe nimmt dort die Nachnutzung immer mehr Formen an. Bereits vor einigen Jahren ist am Killesberg ein großes Heim für betreutes Wohnen eröffnet worden. Anfang dieses Jahres ging ein neues Einkaufszentrum mit vielen Läden in Betrieb. Die benachbarte Wohnbebauung wird in Kürze fertiggestellt. Unmittelbar daneben sind auf einer großen Fläche Ein- und Mehrfamilienhäuser im Bau, von denen einige bereits bewohnt werden. Der Killesbergpark, ein beliebtes Erholungsgebiet für die Stuttgarter und für Besucher, erhielt einen neuen Eingangsbereich.

Man sollte meinen, dass bei einer so großen städtebaulichen Veränderung wie am Killesberg auch die Verkehrsanbindung entsprechend verbessert wird. Beim Thema der Verkehrsanbindung tut sich jedoch Merkwürdiges. Wenn ab kommenden Herbst die Stadtbahnlinie U12 nicht mehr zum Killesberg, sondern zum Hallschlag fahren wird, soll der Killesberg nur noch alle 20 Minuten mit der Linie U5 bedient werden.


Damit haben wir am Killesberg eine U-Haltestelle, bei der nur noch alle 20 Minuten eine Stadtbahn abfährt. Möglicherweise wird dies dann die einzige U-Haltestelle in Deutschland sein, bei der nur alle 20 Minuten eine Bahn fährt. Und es ist das erste Mal in der Geschichte der Straßenbahn/Stadtbahn in Stuttgart, dass eine Haltestelle in den Inneren Stadtbezirken nur noch alle 20 Minuten bedient wird. 

Die Aussicht auf 20 Minuten Warten in der U-Haltestelle
In 20 Minuten sind schnelle Geher zu Fuß vom Killesberg in der Innenstadt. Und die Aussicht darauf, zukünftig bis zu 20 Minuten in einer U-Haltestelle zubringen zu müssen, bis man mit der Bahn abfahren kann, wird die potenziellen Fahrgäste nicht gerade zur Stadtbahn strömen lassen. Möglicherweise wird dies dann von den Betreibern wieder als Ausrede benutzt, dass man mangels Fahrgästen ja nicht öfter zu fahren braucht. Nun gibt es am Killesberg auch noch eine Buslinie, die zum Hauptbahnhof fährt. Aber diese Buslinie ist ja kein zusätzliches Angebot, es gibt sie schon lange. Und es ist wahrlich nicht gerade kundenfreundlich, wenn man zukünftig vor dem Antritt der Fahrt am Killesberg erst einmal schauen muss, ob man nicht besser den (unbequemen) Bus an Stelle der Stadtbahn nimmt.  

Halten wir also zunächst mal fest: Da wird ein Gebiet aufgesiedelt. Anstatt die Anbindung an den öffentlichen Verkehr zu verbessern, wird das Gebiet von der Schiene fast abgehängt. Kommen wir jetzt zur nächsten Merkwürdigkeit.

Tunnelbau und neue Haltestelle dort, wo niemand hinwill
Während der Killesberg von der Schiene fast abgehängt wird, wird mit einem Aufwand von ZigMillionen Euro eine neue Stadtbahnverbindung durch das A1-Gebiet von Stuttgart 21 gebaut, mit dem Ziel, eine neue, am Rand des A1-Gebiets gelegene Haltestelle (Budapester Platz) zu bedienen. Diese Haltestelle lohnt sich jedoch erst dann, wenn nach einer Inbetriebnahme von Stuttgart 21 das Gleisvorfeld des Stuttgarter Hauptbahnhofs (A2-Gebiet) bebaut wird. So also verläuft die Entwicklung der Stadtbahn in Stuttgart. Und diese Entwicklung hat eine verblüffende Ähnlichkeit im Geiste mit Stuttgart 21.       

Als offizielle Begründung für die Reduzierung des Stadtbahnangebots am Killesberg konnte man vor kurzem in der Zeitung lesen, dass für eine Bedienung des Killesbergs alle 10 Minuten in der nächsten Zeit nicht mehr genügend Fahrzeuge vorhanden sein werden. Vor einigen Monaten wurde jedoch ein Mitarbeiter der SSB in der Zeitung zitiert, dass man auf den 10-Minuten-Takt am Killesberg zurückkommen wolle, wenn sich ein entsprechender Bedarf herausstellt bzw. wenn sich die Leute beschweren werden. Ob als Grund für den 20-Minuten-Takt auch eine zu dichte Zugfolge (5 Linien) auf dem Abschnitt zwischen Hauptbahnhof und Charlottenplatz genannt worden ist ober ob dies im Hintergrund eine Rolle gespielt hat, kann ich nicht sagen. Ebenso wenig ist klar, ob Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkte eine Rolle spielen insofern, als man die vom Killesberg kommende Linie ja nicht in der Innenstadt enden lassen kann, sondern in einen anderen Außenbezirk durchbinden muss.

Wenn man sich diese Gründe für den 20-Minuten-Takt beim Killesberg ansieht, kann man auf den ersten Blick und nur jeweils genau auf den einzelnen Grund bezogen möglicherweise nicht einmal etwas dagegen sagen. Das ist dann auch bereits die Stufe, wo die Politik in Stuttgart, also z.B. die Bezirksbeiräte und die Gemeinderäte, mit dem Fragen aufhört. Das tun wir hier in diesem Blog aber nicht, sonst hätte dieser Blog keine Berechtigung.

Wir fragen weiter als die Politik sich zutraut
Wir fragen also: Wie kann es dazu kommen, dass in Stuttgart als einziger Großstadt in Deutschland eine U-Haltestelle in den Inneren Stadtbezirken nur noch alle 20 Minuten bedient werden soll - und das trotz einer massiven Aufsiedlung im unmittelbaren Einzugsbereich der U-Haltestelle?

Der Schlüssel für die Antwort auf diese Frage liegt in der ungünstigen Struktur des Stuttgarter Stadtbahnnetzes, ein Thema, das ja in diesem Blog schon oft angesprochen worden ist. Zunächst einmal besteht das Stuttgarter Stadtbahnnetz nur aus zwei Stammstrecken, ein nahezu einmaliger Fall in Deutschland. Das führt dazu, dass sich auf jeder der beiden Stammstrecken sehr viele Linien drängeln. Da muss man dann selbstverständlich mit jeder zusätzlichen Linie geizen. Hätte Stuttgart - wie fast alle Großstädte - eine dritte Stammstrecke für die Stadtbahn (bzw. nach aktuellem Stand von Technik und Stadtplanung für die Niederflurstraßenbahn) stünde zumindest aus Leistungsgesichtspunkten einer besseren Bedienung des Killesbergs nichts entgegen.

Dann kommt das nächste Problem. Es gibt keine Wendemöglichkeit für eine Linie in der Innenstadt. Gäbe es eine solche Wendemöglichkeit, könnte man die vom Killesberg kommende Linie in der Innenstadt enden und wenden lassen. Damit wäre eine aus verkehrlicher Sicht unnötige Verlängerung der Linie durch die Innenstadt hindurch in einen anderen Außenbezirk hinfällig. Gäbe es diese Wendemöglichkeit, stünden auch wirtschaftliche Gesichtspunkte und Probleme mit zu wenigen Fahrzeugen einer besseren Stadtbahnanbindung des Killesbergs nicht mehr entgegen. Denn für eine Linie Killesberg-Innenstadt braucht man nur ganz wenige Fahrzeuge.

Nun mag hier die Entgegnung kommen, dass eine Wendemöglichkeit für die Stadtbahn in der Innenstadt von Stuttgart kaum mehr herstellbar ist. Im Bereich der Tunnels vom Hauptbahnhof bis zum Charlottenplatz kann man eine Wendemöglickeit kaum mehr einrichten, es sei denn zu horrenden Kosten. Am Olgaeck, wo die Stadtbahn oberirdisch verkehrt, ist möglicherweise der Platz an der Oberfläche nicht vorhanden. Aber all diese Argumente können wir hier nicht gelten lassen. Es handelt sich hier um ein in Jahrzehnten gewachsenes Defizit, das nicht vorhanden wäre, hätte man sich von Anfang an um diese Belange gekümmert. (Möglicherweise lässt sich ein drittes Gleis in der Alexanderstraße unmittelbar hinter der Einmündung in die Charlottenstraße herstellen. Aber solche Detailplanungen sind nicht die Aufgabe dieses Blogs).

Ein vorbildlicher Straßenbahnbetrieb wie in Karlsruhe hat diese Probleme nicht
Im vorangegangenen Post in diesem Blog war die Straßenbahn in Karlsruhe das Thema. Kommen wir hierauf noch einmal zurück. In Karlsruhe, in dem einer der besten Straßenbahnbetriebe Europas zu Hause ist, gibt es zahlreiche Wendemöglichkeiten in Innenstadtnähe. So können zum Beispiel die von Westen kommenden Linien bei der Wendeschleife Tivoli östlich des Hauptbahnhofs wenden. Die von Osten und von Norden kommenden Linien können beim Albtalbahnhof westlich des Hauptbahnhofs sowohl über eine Gleisschleife als auch über eine Stumpfwende wenden. Diese und viele weitere Wendemöglichkeiten nahe der Innenstadt verschaffen der Straßenbahn Karlsruhe mit relativ wenig Aufwand eine Flexibilität, von der die Stadtbahn in Stuttgart nur träumen kann.

Das also sind die Stichworte im Zusammenhang mit der Stuttgarter Stadtbahn: 
  • eine Infrastruktur mit ungenügender Kapazität (nur zwei Stammstrecken)
  • der Zwang zur Durchbindung von Linien, wo die eine oder andere Linie eigentlich im Zentrum enden sollte
  • der Bau von teuren Tunnels, die den Fahrgästen wenig nutzen, an Stelle von wirtschaftlichen Investitionen zum Nutzen der Fahrgäste.

Von Stuttgart 21 ist das bereits bekannt
Aber halt! Irgendwoher kennen wir diese Stichworte doch! Das kommt uns doch irgendwie bekannt vor!

Ja, tatsächlich. Genau dieselben Stichworte sind auch einige der Kennzeichen von Stuttgart 21. Die ungenügende Leistungsfähigkeit, der Zwang zum Durchbinden der Regionalzüge wegen fehlender Wendemöglichkeit, die teuren Tunnels, die kaum einen zusätzlichen Fahrgast vom Auto auf die Bahn bringen werden: Da herrscht also zwischen der Stadtbahn in Stuttgart und dem Projekt Stuttgart 21 eine Verwandtschaft im Geiste. Stuttgart 21 als Nachfolger der Planungsfehler bei der Stadtbahn bzw. die Stadtbahn als Vorahnung der Stuttgart 21- Fehlplanung. Mit dem Stadtbahn-Desaster am Killesberg werden diese Zusammenhänge jetzt für eine größere Öffentlichkeit sichtbar.                         

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