Sonntag, 21. April 2013

Stuttgart 21 beeinträchtigt den Regionalverkehr in ganz Baden-Württemberg

Wegen des einzigen Zwecks, dass die Aufenthaltszeiten für Regionalzüge im Stuttgart 21-Tiefbahnhof maximal zwei Minuten betragen, müssen die Nutzer des Regionalverkehrs in ganz Baden-Württemberg bei Stuttgart 21 massive Beeinträchtigungen beim Reisekomfort hinnehmen. Das geht aus dem Gutachten von Prof. Heimerl hervor, das eine der Grundlagen für das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mannheim zu Stuttgart 21 gebildet hat.

Das Gutachten von Prof. Heimerl ("Stuttgart 21, ergänzende betriebliche Untersuchungen, Teil 2: Kapazitätsreserven beim geplanten Stuttgarter Hauptbahnhof sowie beim Betriebskonzept Stuttgart 21, Verkehrswissenschaftliches Institut an der Universität Stuttgart, 1997") postuliert für die Leistungsfähigkeit von Stuttgart 21 von 32 Zügen pro Stunde unter 2. "Aufenthaltszeiten im Durchgangsbahnhof" eine maximale Aufenthaltszeit der Züge im Tiefbahnhof von zwei Minuten. Die sowieso schon geringe Leistungsfähigkeit von Stuttgart 21 kann also nur dann gewährleistet werden, wenn kein Zug fahrplanmäßig länger als zwei Minuten im Tiefbahnhof stehen bleibt.

Für den Regionalzugverkehr sieht das Gutachten die Notwendigkeit, dass nur noch Züge verkehren, die sehr viele Türen und einen kurzen Türabstand aufweisen, "ähnlich einem S-Bahn-Triebwagen". Nur so kann erreicht werden, dass die vielen im Stuttgarter Hauptbahnhof ein- und aussteigenden Fahrgäste innerhalb von längstens zwei Minuten aus- und eingestiegen sind. Indirekt wird in dem Gutachten das Ende der Doppelstockzüge im Regionalverkehr in Baden-Württemberg postuliert. Denn die Doppelstockwagen weisen mit nur zwei Türen pro Wagen viel zu wenige Türen auf, um den Fahrgastwechsel innerhalb von zwei Minuten beenden zu können. Das gilt auch für alle anderen einstockigen Wagen und Züge, die nur zwei Türen pro Wagen haben.


Fährt ganz Baden-Württemberg zukünftig im Regionalverkehr mit dem unbeliebten Triebwagen ET 425?
Als einziges Fahrzeug, das für den zukünftigen Regionalverkehr in BW mit Stuttgart 21 geeignet ist, nennt das Gutachten den Triebwagen ET 425.

Das ließt man in der wikipedia über den ET 425:
      
"Die Ausstattung der Triebwagen 425 und 426 wird von Fahrgästen immer wieder kritisiert, insbesondere die für längere Fahrten sehr harten Sitze mit steilen Rücken- und fehlenden Armlehnen stehen im Mittelpunkt des Unmuts. Weitere Kritikpunkte sind die Geräuschentwicklung von Antriebselektronik und Fahrmotoren (Spitzname „Quietschie“) sowie das Klappern der Deckel der Abfallbehälter und die Toilette, die häufig defekt ist oder durch eine defekte Toilettentür unbenutzbar wird.
Die auf einer Nutzerumfrage basierenden Proteste des Fahrgastverbandes Pro Bahn führten in Bayern zu einer Nachrüstung einiger Fahrzeuge. Eine ähnliche Fahrgastumfrage wurde auch in Nordrhein-Westfalen von Pro Bahn durchgeführt. Hier setzt DB Regio nach dem Gewinn einer Ausschreibung auf der Regionallinie RB 42 Fahrzeuge mit umgebautem Innenraum ein.
Aufgrund von Kundenbeschwerden hat die DB Regio Bayern die Baureihe 425 von der Strecke München – Mittenwald und München – Murnau abgezogen und fährt dort wieder mit modernisierten lokbespannten n-Wagen-Zügen. Die 425er wurden anschließend im Raum Augsburg als RB-Züge von Augsburg nach Ulm und nach Donauwörth sowie als RegionalExpress-Züge (RE) von Augsburg nach Treuchtlingen eingesetzt. Im Dezember 2009 wurden die Triebfahrzeuge auf diesen Verbindungen durch die Baureihe 440 ersetzt.
Ähnliches gilt für Baden-Württemberg. Hier wurden einige RE-Linien (z. B. Stuttgart-Heidelberg, Stuttgart–Singen) nach Kundenbeschwerden auf Betrieb mit Doppelstockwagen umgestellt."

Diese in der wikipedia genannten Argumente gegen den Einsatz des ET 425 sind aber nur die Spitze des Eisbergs. Insbesondere gehen diese Argumente nicht auf den Kern des Stuttgart 21-Problems ein. Bei Stuttgart 21 geht es darum, dass wegen der ungenügenden Leistungsfähigkeit des Tiefbahnhofs die planmäßigen Standzeiten aller Züge zwei Minuten nicht übersteigen dürfen. Dies kann bei den Regionalzügen nur dadurch erreicht werden, dass Triebzüge mit sehr vielen Türen (und dementsprechend mit relativ wenigen Sitzplätzen) eingesetzt werden. Diese Anforderungen erfüllen der ET 425 bzw. ähnliche Triebfahrzeugtypen, nicht aber die Doppelstockzüge.

Durchbindung der Regionalzüge als Folge der mangelnden Leistungsfähigkeit von Stuttgart 21
Nun stoßen wir auf eine weitere Merkwürdigkeit. Bei Stuttgart 21 müssen die verschiedenen Regionalzugverbindungen in Stuttgart durchgebunden werden. Die Regionalzüge können wegen der zu kleinen Leistunsgfähigkeit des Tiefbahnhofs nicht mehr in Stuttgart enden, wie das heute zum überwiegenden Teil der Fall ist. Sie können wegen der starken Gleisneigung des Tiefbahnhofs und wegen fehlender Weichenverbindungen dort auch nicht wenden und wieder zurückfahren. 

Die Regionalzüge fahren also bei Stuttgart 21 z.B. von Würzburg bis Singen, von Heidelberg bis Ulm usw. Das sind zum Teil sehr lange Relationen mit Fahrzeiten von bis zu drei oder vier Stunden. Heute kann man diese Entfernungen in relativ bequemen Doppelstockwagen oder anderen vergleichbaren Fahrzeugen zurücklegen. Zukünftig müssen sich alle Fahrgäste des Regionalverkehrs in BW mit unbequemen Zügen und mit relativ wenigen Sitzplätzen vorlieb nehmen, auch für sehr lange Fahrten. Und das gilt nicht nur für die Fahrgäste, die Stuttgart als Ziel ihrer Reise haben. Das gilt für alle Fahrgäste in BW, auch wenn sie zwischen zwei Orten fahren, die mit Stuttgart überhaupt nichts zu tun haben. 

Unbequeme Wagen, wenige Sitzplätze und viele Zwangs-Stehplätze werden somit das Fahren im Regionalverkehr in BW mit Stuttgart 21 zur Tortur machen. Hier haben wir es mit einem klassischen Beispiel einer Ursache-Wirkung-Vertauschung zu tun. Es ist bei Stuttgart 21 nämlich nicht so, dass man den Stuttgarter Hauptbahnhof an die Bedürfnisse der Reisenden in ganz Baden-Württemberg anpasst. Es wird bei Stuttgart 21 genau andersherum gemacht. Die Reisenden in Baden-Württemberg müssen sich an die Unzulänglichkeiten und Zwangspunkte von Stuttgart 21 anpassen.

Die Fahrzeuge müssen gemäß den auf der Strecke vorhandenen Bedürfnissen ausgelegt sein
Anderswo in Europa macht man es richtig. Dort steht der Mensch und der Fahrgast im Vordergrund. Es ist europaweit die Tendenz zu beobachten, dass Fahrzeuge und Strecken immer spezifischer auf die konkret vorhandenen Bedürfnisse der Nutzer angepasst werden.

Mir fiel das vor kurzem bei der Mailänder U-Bahn auf. Mailands neue Metrolinie M5, die vor wenigen Wochen in einem ersten Abschnitt in Betrieb gegangen ist, hat relativ kurze Fahrzeuge (50 Meter), die jedoch vollautomatisch alle 90 Sekunden verkehren. Die im Bau befindliche Metrolinie M4 wird dagegen 60 Meter lange Fahrzeuge haben, die ebenfalls alle 90 Sekunden verkehren. Die seit längerer Zeit in Betrieb befindlichen Linien M1, M2 und M3 haben 105 Meter lange Züge. Diese Abhängigkeit der Größe und der Bedienungshäufigkeit des Beförderungsgefäßes von der Nachfrage ist ja zum Beispiel bei Aufzügen in Hochhäusern auch nicht anders. Die Zahl der Aufzüge und ihre Größe variiert von Hochhaus zu Hochhaus in Abhängigkeit von den spezifischen Anforderungen.

Die streckenspezifische Festlegung der Zuglänge, des Wagenmaterials und der Taktfolge in Abhängigkeit der für die Strecke geltenden Randbedingungen ist mit dem bestehenden Kopfbahnhof in Stuttgart möglich und wird teilweise heute bereits so praktiziert. Möglich ist dies deshalb, weil die Züge im Hauptbahnhof heute nicht zwangsweise durchgebunden werden müssen, weil die Züge heute im Hauptbahnhof wenden können und weil es im Kopfbahnhof mit seinen 17 Gleisen keine wesentlichen Restriktionen in Bezug auf die maximale Haltedauer der Züge gibt.

Bei Stuttgart 21 müssen alle Züge durchgebunden werden. Zudem dürfen alle Züge nur maximal zwei Minuten im Bahnhof stehen bleiben. Diese Nachteile und Beeinträchtigungen für die Fahrgäste in ganz BW stehen in keinem Verhältnis zu den Fahrzeitgewinnen von allenfalls wenigen Minuten, die bei Stuttgart 21 für einige wenige Strecken versprochen werden. Stuttgart 21 ist somit ein eindrucksvolles Beispiel für ein Projekt, das die Vor- und Nachteile nicht adäquat gewichtet. Für die Verwirklichung einer Idee werden alle Aspekte, die dieser Idee entgegenstehen, konsequent ausgeblendet. Das hat schon etwas Feudales, ja Pharaonisches an sich.

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