Samstag, 9. Juni 2012

Wie lange bleibt S21-Fan Stefan Kaufmann noch CDU-Kreisvorsitzender?

Blanke Angst. Etwas anderes kann es wohl nicht sein, was den CDU-Kreisvorsitzenden Stefan Kaufmann veranlasst hat, unmittelbar nach der Fragestunde der OB-Kandidaten im Stuttgarter Rathaus vom 06.06.2012 eine Pressemitteilung (Pressemitteilung vom 07.06.2012, veröffentlicht auf der homepage von Stefan Kaufmann) herauszugeben.  Wollte er die blasse Vorstellung seines Kandidaten Turner etwas aufhübschen? Oder hat er Angst, dass der zukünftige Stuttgarter OB möglicherweise bei Stuttgart 21 die Interessen Stuttgarts vertreten wird, wie es für einen OB von Stuttgart eigentlich selbstverständlich sein müsste?

Das kann ja noch heiter werden. Denn die KandidatInnen für den OB von Stuttgart werden sich noch zahlreiche Diskussionsrunden liefern, zahlreiche Interviews abhalten, zahlreiche Auftritte haben. Will Kaufmann jetzt jeden zweiten Tag eine Pressemitteilung herausgeben? Das kann sich schnell abnutzen, kann schnell langweilig werden. Fast braucht man es nicht zu sagen: aber die GRÜNEN, die SPD und das Bündnis SÖS haben nach der OB-Kandidatenrunde im Stuttgarter Rathaus vom 06.06.2012 selbstverständlich keine Pressemitteilung herausgegeben. Dafür gab es auch keinen Anlass. 

Kommen wir aber zum Inhalt der Pressemitteilung von Stefan Kaufmann. Da stimmt nämlich einiges nicht. Und das ist alarmierend. Kaufmann wirft verschiedenen OB-Kandidaten vor, das Ergebnis der Volksabstimmung des Landes BW zu Stuttgart 21 zu ignorieren. Damit sind diese OB-Kandidaten, so der Wortlauf Kaufmanns, Antidemokraten. 

Es wäre zu wünschen, dass die CDU Stefan Kaufmann nach dieser Fehlleistung vom Amt des Stuttgarter CDU-Kreisvorsitzenden ablöst. 



Stefan Kaufmann ist kein Bahnfachmann. Stefan Kaufmann ist Jurist. Davon gibt es ja genug unter den Politikern. Möglicherweise ist der Beruf des Juristen der häufigste Politikerberuf. Irgendwie ist das auch langweilig. Viele Menschen wünschen sich, dass sie von anderen Politikern regiert werden als von diesen Massen von langweiligen Juristen. Schade, dass es zum Beispiel nie ein richtiger Bahnfachmann zum Verkehrsminister geschafft hat. Dann wäre uns Stuttgart 21 von vornherein erspart geblieben.

Aber wir wiederholen: Stefan Kaufmann ist Jurist. Und als solcher sollte er eigentlich über die Finanzierungsmodalitäten von Stuttgart 21 sowie über die Zuständigkeiten der verschiedenen politischen Institutionen Bescheid wissen.

Stefan Kaufmann tut so, als wäre Stuttgart 21 eine Landesstraße, ein Projekt also, das vom Land geplant, entschieden und finanziert wird. Die betroffenen Kommunen haben hier allenfalls ein Mitspracherecht. Und wäre Stuttgart 21 eine Landesstraße, dann könnte man tatsächlich sagen, dass ein Stuttgarter OB sich an die vom Land abgehaltene Volksabstimmung halten muss, wobei wir jetzt einmal die Frage vernachlässigen, ob diese Volksabstimmung rechtmäßig war. 

Stuttgart 21 ist aber keine Landesstraße. Stuttgart 21 ist in jeder Hinsicht ein Ausnahmeprojekt, das es in dieser Form bisher in Europa wohl noch nicht gegeben hat. Für den Bau und die Finanzierung von Stuttgart 21 haben sich verschiedene Gebietskörperschaften und Institutionen zusammengetan und einen Vertrag geschlossen. Sie sind zu Vertragspartnern geworden. Einer von mehreren Vertragspartnern ist das Land BW, ein anderer Vertragspartner ist die Stadt Stuttgart.

Herr Kaufmann verlangt nun, dass der oberste Repräsentant des Vertragspartners Stuttgart, der Stuttgarter OB, die Interessen dieses Vertragspartners nicht länger vertritt. Statt dessen soll der oberste Repräsentant des Vertragspartners Stuttgart zukünftig die Interessen eines anderen Vertragspartners, des Vertragspartners BW vertreten. 

Da könnte man genauso gut sagen, dass der Vertragspartner BW zukünftig die Interessen des Vertragspartners Stuttgart vertreten muss und das Projekt Stuttgart 21 umgehend stoppen muss.

Welche Interessen sollte denn der oberste Repräsentant des Vertragspartners Stuttgart vertreten, wenn er diese Rolle ernst nimmt? Da gibt es jede Menge. Greifen wir nur einen einzigen Sachverhalt heraus. Viele Indizien deuten darauf hin, dass die Gleisanlagen im Kopfbahnhof und das Gleisvorfeld nach der Inbetriebnahme eines Tunnelbahnhofs nicht abgerissen werden können. Darauf deuten die Bestrebungen von Privatbahnen hin, die den Betrieb im Kopfbahnhof übernehmen wollen. Darauf deuten auch die neuesten Leistungsfähigkeitsuntersuchungen hin, die dem Tiefbahnhof eine ungenügende Leistungsfähigkeit bescheinigen. Darauf deutet auch der Umstand hin, dass die Gäubahn wohl dauerhaft über S-Vaihingen und die Panoramastrecke in den Talkessel fahren wird und hierbei am Günstigsten weiterhin in den Kopfbahnhof einfahren wird.

Auch wenn die Gleisanlagen später als zum vertraglich vereinbarten Zeitpunkt 2019 frei werden, ist dies ein Grund, die Verträge zu kündigen. Und dass auch im unwahrscheinlichen Fall des Baus von Stuttgart 21 die Gleisanlagen später als 2019 frei werden, gilt als ausgemacht. Die Inbetriebnahme von Stuttgart 21 wäre wohl frühestens 2025. Und dann wird,  weil das Projekt S21 eben doch nicht das bestgeplante Projekt ist, bereits von einem mehrjährigen Probebetrieb geredet, bei dem die Gleisanlagen im Kopfbahnhof weiterhin funktionstüchtig sein müssen.

Wenn aber die Gleisanlagen im Kopfbahnhof und das Gleisvorfeld nicht frei werden, kann die Stadt dieses Gelände nicht bebauen und mit den bereits gekauften Grundstücken nichts anfangen. Dann muss die Stadt den Kaufvertrag mit der DB wieder rückgängig machen und das bereits gezahlte Geld samt den Zinsen von der DB zurückfordern. Dass damit das Projekt Stuttgart 21 erledigt wäre (wahrscheinlich ist es aus anderen Gründen schon vorher erledigt), braucht nicht extra betont zu werden.

Vielleicht rührt daher die Angst Stefan Kaufmanns, dass der zukünftige OB von Stuttgart möglicherweise eigenständig denken und - wie es die Pflicht des OB ist - die Interessen des S21-Vertragspartners Stuttgart vertreten könnte. 

Kommen wir noch zu den Größenverhältnissen. Es mag ja jetzt vielleicht der Einwand kommen, dass die beiden S21-Vertragspartner BW und Stadt ungleich groß sind und dass BW der wichtigere Vertragspartner ist. Das ist allenfalls auf den ersten Blick so. Auf den zweiten Blick subventioniert die Stadt das Projekt Stuttgart 21 sogar mit noch höheren Beträgen als das Land. BW beteiligt sich mit 823 Mill. Euro. Stuttgart beteiligt sich direkt mit 238 Mill. Euro und indirekt mit ca. 450 Mill. Euro für den Grundstückskauf sowie zusätzlich mit einem vieljährigen Zinsverzicht auf die zunächst nicht nutzbaren, erworbenen Grundstücke. Dieser Zinsverzicht umfasst einen Wert von über 300 Mill. Euro. Dazu kommen bei Stuttgart noch der Anteil am Finanzierungsanteil über die Region Stuttgart sowie am Finanzierungsanteil über den Flughafen. Zusammengefasst ergibt sich für die Landeshauptstadt Stuttgart ein Betrag,  der den Betrag des Landes weit übersteigt. Damit ist die Landeshauptstadt Stuttgart der wichtigste Stuttgart 21-Vertragspartner.  

Fazit:
Es gibt eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sich die CDU diesen Kreisvorsitzenden Stefan Kaufmann nicht mehr lange antun wird. Denn es gibt ja doch auch in der CDU vernünftige Leute, die der weiteren Selbstmontage dieser Partei nicht tatenlos zusehen wollen. Wenn man Menschen als Antidemokraten bezeichnet, nur weil sie Meinungen vertreten, die man selbst nicht versteht und nur weil sie augenscheinlich den Staatsaufbau und das Vertragswesen besser verstehen als man selbst, dann ist dies unerträglich. In der deutschen Geschichte haben wir es schon öfter mit tatsächlichen Antidemokraten zu tun gehabt. Welche Wortwahl wendet Kaufmann denn an, wenn es irgendwann einmal wirklich wieder Antidemokraten in Deutschland geben sollte? 

Wenn Kaufmann demnächst nicht mehr Kreisvorsitzender ist, hat er vielleicht Zeit für ein Jura-Aufbaustudium zu den Themen Staatsrecht und Vertragsrecht sowie für ein Abendstudium der Geschichte und der Germanistik. Denn bei all diesen Themen hat Kaufmann ernsthaften Nachholbedarf.

Und an die CDU geht eine Bitte: der nächste Kreisvorsitzende sollte möglichst nicht Jurist sein. Es gibt doch so viele wichtige Berufe und Funktionen, die man als Bürger in Deutschland ausüben kann. Da müsste doch auch mal was anderes drin bzw. dran sein.  
    

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