Donnerstag, 10. Mai 2012

Die Durchbindung von Regionalzügen ist bei großen Bahnknotenpunkten nicht das richtige Konzept

Immer wieder wird Stuttgart 21 mit dem Argument gerechtfertigt, dass die Regionalzüge mit Hilfe des Durchgangsbahnhofs zu Durchmesserlinien durchgebunden werden können. Zuletzt hat Professor Heimerl in seinem Leserbrief an die Stuttgarter Zeitung (siehe den Post in diesem Blog vom 08.05.2012) diesen Punkt wieder bemüht.

Hier gilt es nun zu zeigen, dass die Durchbindung der Regionalzüge bei großen Bahnknotenpunkten wie Stuttgart Hauptbahnhof nicht sinnvoll ist. Weiter gilt es zu zeigen, dass das Argument der Durchbindung von Regionalzuglinien bei Stuttgart 21 kein primäres Argument für das Bauvorhaben ist. Vielmehr handelt es sich hierbei um ein Sekundärargument, mit dem Defizite des Bauvorhabens kaschiert werden sollen.



Machen wir zunächst einen gedanklichen Ausflug nach Karlsruhe zum dortigen Hauptbahnhof. Dieser Hauptbahnhof ist ein Durchgangsbahnhof. Wenn die Durchbindung von Regionalzuglinien bei Bahnknotenpunkten, die über einen Durchgangsbahnhof verfügen, das richtige Konzept ist, dann müsste doch diesbezüglich in Karlsruhe Hauptbahnhof einiges zu sehen sein. Wir schauen uns jetzt alle Regionalzuglinien an, die den Karlsruher Hauptbahnhof anfahren.

Es gibt eine Interregio-Express-Linie nach Neustadt (Weinstraße). Sie beginnt und endet in Karlsruhe Hauptbahnhof.
Es gibt auch eine Regionalbahnlinie nach Neustadt (Weinstraße). Sie beginnt und endet in Karlsruhe Hauptbahnhof.
Es gibt die berühmte Schwarzwaldbahn, eine Regionalexpresslinie nach Konstanz. Sie beginnt und endet in Karlsruhe Hauptbahnhof.
Es gibt auch eine Regionalexpresslinie, die nur bis Offenburg fährt. Auch sie beginnt und endet in Karlsruhe Hauptbahnhof.
Es gibt eine Regionalexpresslinie nach Mainz über Speyer. Sie beginnt und endet in Karlsruhe Hauptbahnhof.
Es gibt eine Regionalbahnlinie nach Mannheim über Schwetzingen. Sie beginnt und endet in Karlsruhe Hauptbahnhof.
Es gibt eine Interregio-Express-Linie nach Stuttgart. Sie beginnt und endet in Karlsruhe Hauptbahnhof.
Es gibt schließlich auch noch eine Regionalexpresslinie nach Stuttgart über Bietigheim. Auch sie beginnt und endet in Karlsruhe Hauptbahnhof.

Fazit: Es gibt nicht einen Regionalzug, der im Durchgangsbahnhof Karlsruhe Hauptbahnhof durchgebunden wird.

Da bleibt man erst einmal ratlos zurück. Ist die Durchbindung von Regionalzügen in großen Bahnknotenpunkten doch nicht der Weisheit letzter Schluss? Warum aber sollen dann bei Stuttgart 21 die Regionalzüge durchgebunden werden? Irgendetwas brauchen wir nun, um hier weiterzukommen. Aber halt, wir haben ja bisher noch gar nicht geschaut, wieviele Gleise der Durchgangsbahnhof Karlsruhe Hauptbahnhof hat. Dieser Bahnhof verfügt über 14 Durchfahrtsgleise und über weitere 2 Kopfbahnhofgleise. Somit hat der Karlsruher Hauptbahnhof insgesamt 16 Gleise, so viel wie der Stuttgarter Hauptbahnhof und doppelt so viele wie beim Projekt Stuttgart 21.

Und jetzt ist klar, warum die Regionalzüge im Karlsruher Hauptbahnhof nicht durchgebunden werden müssen und statt dessen zeitgenau mit möglichst kurzen Anschlüssen zu den Fernzügen und zu den anderen Regionalzügen in den Hauptbahnhof einfahren und später wieder ausfahren können. Dieser Hauptbahnhof und Durchgangsbahnhof hat schlichtweg genügend Gleise, damit die Regionalzüge fahrgastfreundlich fahren können. Für die Einhaltung von Anschlüssen zu und von den anderen Zügen ist es erforderlich, dass Regionalzüge auch einmal etwas länger im Hauptbahnhof stehen können. Hierzu braucht man aber genügend Gleise und Bahnsteige.

Jetzt wird auch klar, warum bei Stuttgart 21 die Regionalzüge durchgebunden werden sollen. Dieses Projekt hat einfach nicht genügend Gleise, damit Regionalzüge auch einmal länger im Bahnhof verweilen können. Da geht es dann zu wie im Schnellrestaurant. Kaum hereingekommen, müssen die Züge auch schon wieder herausfahren. Die Durchbindung der Regionalzüge bei Stuttgart 21 erfolgt also mitnichten, weil man den Fahrgästen etwas Gutes tun und das System Bahn fördern will. Die Durchbindung der Regionalzüge erfolgt aus blanker Not, weil einfach nicht genügend Gleise da sind.

Sehen wir uns jetzt einmal die einzelnen Zuggattungen daraufhin an, ob eine Durchbindung in großen Bahnknotenpunkten sinnvoll ist oder nicht.

Fernzüge
Dies ist die Königin der Zuggattungen. Fernzüge warten nicht auf andere Zuggattungen. Sie lassen allenfals auf sich warten. Fernzüge sind dazu da, Menschen möglichst rasch durch ganz Deutschland zu bringen. Also werden Fernzüge auch in den großen Knotenpunktsbahnhöfen durchgebunden, egal ob Kopfbahnhof oder Durchgangsbahnhof. Das schließt jedoch nicht aus, dass einzelne Fernzuglinien in einem Bahnhof auch enden können. So ist es in Stuttgart und so ist es in Karlsruhe.

S-Bahn
Die S-Bahn fährt in dichtem Takt. Anschlüsse zu anderen Zuggattungen können und brauchen im allgemeinen nicht hergestellt zu werden. S-Bahnen werden somit durchgebunden. So ist es in Stuttgart und so ist es in Karlsruhe.

U-Bahn / Stadtbahn / Straßenbahn
Diese städtischen Schienenverkehrsmittel verkehren in sehr dichtem Takt. Auch hier können und brauchen Anschlüsse zu anderen Zuggattungen nicht hergestellt zu werden. Folgerichtig werden sie am Hauptbahnhof durchgebunden, in Stuttgart wie in Karlsruhe.

Und jetzt kommen wir zu den Regionalzügen.
Diese Züge fahren meist im Stundentakt (teilweise nur im Zweistundentakt, teilweise bzw. zeitweise auch im Halbstundentakt). Bei diesen Takten sind Anschlüsse zu anderen Zuggattungen bzw. anderen Regionalzügen von großer Wichtigkeit. Durchgebundene Regionalzüge nutzen nur denjenigen Fahrgästen, die zufällig in der durchgebundenen Relation unterwegs sind. Das aber ist die Minderheit. Die Mehrheit der Regionalzugfahrgäste besteht aus den folgenden Gruppen: Reisende, die im Hauptbahnhof aussteigen und zu Fuß weitergehen; Reisende, die im Hauptbahnhof aussteigen und mit der S-Bahn, der U-Bahn, der Stadtbahn, der Straßenbahn oder dem Bus weiterfahren; Reisende, die im Hauptbahnhof auf Fernzüge umsteigen und Reisende, die im Hauptbahnhof auf andere Regionalzüge umsteigen. Und für diese Mehrheit der Reisenden sind Ankünfte der Regionalzüge im Hauptbahnhof zu bestimmten, passenden Zeiten und ebenso Abfahrten der Regionalzüge zu bestimmten, passenden Zeiten von großer Wichtigkeit. So ist es zur Zeit in Stuttgart und in Karlsruhe. Aber so würde es bei Stuttgart 21 nicht mehr sein.

Welche Folgerungen sind nun aus diesen Erkenntnissen für den Bahnknoten Stuttgart und dessen zukünftige Weiterentwicklung zu ziehen?

1. Der Stuttgarter Hauptbahnhof benötigt viele Gleise und Bahnsteige, um für alle Regionalzuglinien zu allen Uhrzeiten voll aufnahmefähig zu sein. Die Regionalzüge müssen auch längere Zeit im Hauptbahnhof stehen bleiben können. Dies kann im Stuttgarter Talkessel nur ein Kopfbahnhof leisten.

2. Die S-Bahn in der Region Stuttgart muss massiv ausgebaut werden. Die S-Bahn in der Region Stuttgart hat das mit Abstand kleinste Streckennetz aller vergleichbaren Regionen (München, Frankfurt, Zürich). Es müssen neue Durchbindungen geschaffen werden, neue Express-S-Bahnen und neue Tangentiallinien, die am Talkessel vorbeifahren.

3. In einem späteren Ausbauschritt kann nach dem Vorbild der Zürcher Durchmesserlinie eine Durchbindung für die Fernzüge in der Relation Feuerbach - Hauptbahnhof - Bad Cannstatt geschaffen werden. Diese Durchmesserlinie kommt mit einem möglichst kurzen Tunnel aus. Sie wird die Leistungsfähigkeit des Bahnknotens weiter erhöhen und für die Fernzüge eine Fahrt ohne Fahrtrichtungswechsel ermöglichen.

Jetzt warten wir nur noch auf den ersten mutigen Politiker, der Stuttgart 21 stoppt. Sollte die Bürgerbewegung gegen Stuttgart 21 vielleicht einen Preis dafür ausloben? Das wäre aber gar nicht nötig. Denn der Name zum Beispiel eines Verkehrsministers, der Stuttgart 21 stoppt, würde über Jahrzehnte positiv in Erinnerung bleiben, ganz im Gegensatz zu den vielen bisherigen Verkehrsministern, an die sich heute niemand mehr erinnert. Und das müsste für einen Politiker doch Motivation genug sein!                        

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